Hans-Heinrich Dieter

 Steinmeier in Yad Vashem    (25.01.2020)

 

Bundespräsident Steinmeier hat bei einer Veranstaltung in der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem eine Rede gehalten: „75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz stehe ich als deutscher Präsident vor Ihnen allen, beladen mit großer historischer Schuld. … “

Der jüdische Historiker Michael Wolffsohn hat diese Rede mit deutlichen Worten kritisiert: Aus seiner Sicht habe Steinmeier „zu viele große Worte“ gewählt: „Es sind zudem die immergleichen Worte, also deren Inflationierung. Damit werden sie wertlos. Kein Wunder, dass kaum noch jemand zuhört.“ Und Wolffsohn fügt noch eine wichtige Ãœberlegung zur Gedenkkultur an: „Rund ein Viertel der Deutschen hat Migrationshintergrund. Viele sind Muslime. Die bisherige Gedenkkultur Deutschlands richtet sich nur an die Nachfahren der Deutschen, die das NS-Regime miterlebt, getragen und ertragen haben. Als ob etwa die muslimische Welt beim Judenmorden und im Zweiten Weltkrieg nicht mit den Hitler-Banden zusammengearbeitet hätte.“ Die Kritik an der großsprecherischen Art Steinmeiers verwundert nicht, denn wir kennen das von sozialdemokratischen ehemaligen und aktuellen Außenministern, die alle mehr oder weniger als „wandelnde Plattitüden“ hauptsächlich aber mit mäßigem Erfolg Gesprächsfäden geknüpft und -kanäle offengehalten haben.

Steinmeier beklagte aber auch ein Erstarken des Antisemitismus in Deutschland: „Die bösen Geister zeigen sich heute in neuem Gewand. Mehr noch: Sie präsentieren ihr antisemitisches, ihr völkisches, ihr autoritäres Denken als Antwort für die Zukunft, als neue Lösung für die Probleme unserer Zeit.“ Damit erweckt er den Eindruck, dass in Deutschland ausschließlich deutschstämmige Neonazis und Rechtsradikale als böse antisemitische „Geister“ auftreten und vergisst die vielen muslimischen Deutschen mit Migrationshintergrund, die vielen deutschtürkischen Muslime, die den autokratischen und nicht gerade judenfreundlichen Erdogan als ihren Präsidenten verehren, sowie die vielen muslimischen Flüchtlinge und Migranten, die in ihrer Heimat schon als Schüler oder im Elternhaus antisemitisch erzogen und sozialisiert worden sind. Wenn Steinmeier derart pauschal die „Nazikeule“ gegen „die Deutschen“ schwingt, dann ist das unredlich und unfair der Mehrheit der deutschen Bevölkerung gegenüber – um es euphemistisch auszudrücken!

Und dann wünscht sich Steinmeier auch noch, dass er sagen könnte: „Wir Deutsche haben für immer aus der Geschichte gelernt.“ … „Aber das kann ich nicht sagen, wenn Hass und Hetze sich ausbreiten. Das kann ich nicht sagen, wenn jüdische Kinder auf dem Schulhof bespuckt werden. Das kann ich nicht sagen, wenn unter dem Deckmantel angeblicher Kritik an israelischer Politik kruder Antisemitismus hervorbricht. Das kann ich nicht sagen, wenn nur eine schwere Holztür verhindert, dass ein Rechtsterrorist an Jom Kippur in einer Synagoge in Halle ein Blutbad anrichtet.“ Wir „Deutschen“ sind offenbar nach Steinmeiers Meinung ignorant und lernunfähig, haben also offensichtlich alle und allgemein nichts aus der Geschichte gelernt, unsere deutschen Kinder bespucken also offensichtlich ständig und immer wieder jüdische Kinder auf dem Schulhof und Kritik deutscher Staatsbürger an israelischer Politik ist ohnehin per se kruder Antisemitismus. Solche pauschalen, durch keine Fakten und Beispiele belegten Diffamierungen und Verleumdungen deutscher Staatsbürger sind unsachlich bis widerlich – und das von einem deutschen Bundespräsidenten, den sicherlich keine Mehrheit deutscher Bürger wählen würde!

Ich habe vor 20 Jahren als Kommandeur des Kommando Spezialkräfte Israel dienstlich besucht, um die Zusammenarbeit deutscher Spezialkräfte mit israelischen Spezialkräften ins Leben zu rufen. Ich habe selbstverständlich auch die sehr eindrucksvolle und betroffen machende Gedenkstätte Yad Vashem besucht und sinngemäß ins Gästebuch geschrieben: Ich bekenne mich zur historischen Verantwortung für die Verbrechen der Naziherrschaft – aber ich bin nicht schuldig!

Meine Töchter haben sich mit der Thematik auseinandergesetzt und waren im Schüleraustausch in Israel. Wir haben israelische Jugendliche als Gäste in unserem Haus gehabt. Meine Töchter sind nicht schuldig! Meine Frau und ich haben Israel 1998 und 2008 jeweils drei Wochen intensiv bereist, um uns einen intensiven Eindruck von Land und Leuten zu verschaffen. Inzwischen hat sich Israel politisch stark verändert und insbesondere die völkerrechtswidrige Siedlungspolitik im Westjordanland sowie die friedensfeindliche Torpedierung der Zweistaaten-Lösung ist aus unserer Sicht in hohem Maße kritikwürdig. Trotzdem betrachte ich mich auch weiterhin als Freund des israelischen Volkes - nicht aber als Freund Netanjahus und seiner rechtsradikalen bis rechtsextremen sowie nationalistischen Übergangsregierung.

Da wir als Bundesrepublik Deutschland die historische Verantwortung für die Verbrechen der Naziherrschaft übernommen haben, ist es auch unsere Pflicht, das Gedenken wach zu halten und den sich ändernden Rahmenbedingungen anzupassen. Dazu gehört nicht nur, jede Form von Extremismus zu bekämpfen, sondern auch, integrationsfeindlichem und antisemitischem Verhalten von Migranten, Flüchtlingen und Asylanten konsequent entgegenzutreten und Recht und Gesetz konsequent anzuwenden. Mit dem Vorschlag von Herrn Wolffsohn sollten wir uns selbstkritisch, ehrlich und öffentlich auseinandersetzen.

Zur Gedenkkultur geh̦rt es aber nicht, dass wir unseren Kindern und Enkelkindern Рnach alttestamentarischen Vorstellungen m̦glichst bis ins siebente Glied - einen Schuldkomplex vermitteln, denn das ist unmenschlich und deswegen unverantwortlich! Meine Enkel sind auch nicht schuldig und werden auch als Erwachsene nicht schuldig sein k̦nnen.

(23.01.2020)

 

 

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