Hans-Heinrich Dieter

Trennung von Kirche und Staat   (30.05.2017)

 

Der evangelische Kirchentag im Lutherjahr war sehr groß gedacht und ist etwas kleiner ausgefallen, denn die Bedeutung der Kirchentage im Vergleich zu früheren Jahrzehnten ist spürbar zurückgegangen, genau wie die Zahl der protestantischen Gemeindemitglieder.

In einem Kommentar heißt es zugespitzt: „Der Kirchentag, das ist die Versammlung des protestantischen Moralüberschusses, der unempfänglich ist fürs Reale und Machbare; das Treffen der Weltverbesserer und Nervensägen, der Besserwisser und jener Propheten, die dem Mitmenschen die Currywurst verleiden.“ Da ist natürlich etwas dran, denn die selbstverliebte Theologin Margot Käßmann und die scheinheilige Grünen-Politikerin Göring-Eckardt haben sich ja auch produziert. Aber die Kirchentagsbewegung bekennt sich heute zum Schulterschluss der Konfessionen im Ringen um Frieden und Freiheit. Und sie lebt die Ökumene deutlich sichtbar, und das ist verdienstvoll.

Nicht nur im Zusammenhang mit Kirchentagen werden die Fragen diskutiert, welche Rolle die Kirchen für unsere Gesellschaft noch spielen, ob sie ihre Aufgabe der Seelsorge, der Glaubensvermittlung und karitativen Hilfe noch ausreichend wahrnehmen und ob sie sich ohne hinreichenden Realitätsbezug nicht allzu sehr in die Tagespolitik einmischen. Und natürlich muss man auch die Frage stellen, ob die Kirchen heute noch den moralischen Anspruch haben mit dem sie sich öffentlich zu Wort melden. Zwei Beispiele sollen das Problem verdeutlichen.

Als Innenminister de Maizière 2015 "prinzipiell und fundamental" das Kirchenasyl ablehnte, weil die Kirchen sich damit über den Staat, Recht und Gesetz stellen, kam es zu heftigen Protesten.

Von den etwa 200.000 Flüchtlingen in Deutschland fanden 2015 etwa 350 Menschen in deutschen Kirchen Asyl und damit Schutz vor Abschiebung. Das heißt, der Asylantrag dieser Menschen ist geprüft und es wurde entschieden, dass für sie Asyl in Deutschland nicht gerechtfertigt ist. Die Kirchen setzen sich also tatsächlich über staatliche Entscheidungen hinweg, die nach reiflicher Prüfung und nach bestem Wissen und Gewissen getroffen wurden. In Deutschland gilt nach Art 3 GG gleiches Recht für alle. Wenn bei 200.000 Flüchtlingen mehrere Hundert Kirchenasyl genießen, dann fragt man sich, auf welcher sachlichen Grundlage die Kirchengemeinden diese Menschen ausgesucht haben. Was sind die Entscheidungskriterien, die dazu führen, objektive staatliche Entscheidungen für falsch zu erklären? Gemeindemitglieder erfahren wohl irgendwie von Einzelschicksalen, halten sie subjektiv für glaubwürdig und die Not für groß. Subjektive Gefühle dürfen aber keine Grundlage für Kirchengemeinden sein, auf der ein Recht zum Widerstand gegen den Staat abgeleitet wird. Und wie rechtfertigen die Kirchen zwangsläufige Ungleichbehandlungen von Hilfesuchenden, wenn sie wenigen ein Recht zubilligen, das ihnen – genauso wie den vielen – nicht zusteht? Die Kirchen verweisen auf vermeintliches „Kirchenasyl“ im Grundgesetz, berufen sich unzureichend und unzutreffend auf Art 4 und 16a GG und begründen ihren „Widerstand“ und Rechtsbruch mit der schlichten Behauptung, das Recht auf Schutz werde im Gesetzesvollzug missachtet. Jede Behörde muss sich von den Kirchen verunglimpft oder gar verleumdet fühlen. Innenminister de Maizière hat deswegen Recht, wenn er die Kirchen rügt und dafür kritisierte, dass sie sich eigenmächtig über bestehende Gesetze hinwegsetzen, und den Kirchenasylanten den Status von „Untergetauchten“ zuordnet.

Ein weiteres Beispiel für den Verfall moralischen Anspruches sind die unzähligen Fälle und das unvorstellbare Maß sexuellen Missbrauches durch Verantwortliche in der katholischen Kirche. Die Kirchenmitglieder quittieren erkennbar systemimmanentes Fehlverhalten mit Irritation, tiefsitzendem Vertrauensverlust und massenweisen Kirchenaustritten.

Die damalige Justizministerin forderte die Kirche zur fundierten Aufarbeitung des Missbrauchsskandals auf. Im Zuge der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals wurde der katholischen Kirche Zensur, Behinderung unabhängiger Aufklärung und Interesse vornehmlich an Gefälligkeitsgutachten vorgeworfen. Die kriminellen Triebtäter sind nicht transparent und nachvollziehbar zur Rechenschaft gezogen worden. Die Frage stellt sich, ob man der katholischen Kirche die Selbstaufklärung überlassen darf. Der Staat müsste der Kirche helfen, indem er die Aufklärung im Sinne der Missbrauchsopfer selbst übernimmt. Dazu müssten das kirchliche Selbstbestimmungsrecht im Grundgesetz angepasst, das Kirchenrecht teilweise geändert und die Kirchen als öffentliche Institutionen der normalen Strafgerichtsbarkeit unterworfen werden, wenn es um die Aufklärung und Ahndung von Vergehen und Verbrechen geht. Denn das sind keine „inneren Angelegenheiten“ der Kirchen, die man im eigenen Interesse unter den Tisch kehren oder lediglich disziplinarisch regeln kann. Darüber hinaus muss man feststellen, dass die Kirchen das Recht auf eine Sonderstellung in allgemeinrechtlichen Fragen verwirkt haben.

Und wenn man schon solche weitreichenden aber erforderlichen Schritte geht, dann sollte man auch gleich das Selbstbestimmungs- und Selbstverwaltungsrecht der Kirchen nach Art 140 GG, das z.B. auch die ungleichen und teilweise ungerechten arbeitsrechtlichen Regelungen für Mitarbeiter der Kirchen festlegt, auf den Prüfstand stellen.

Die Stellung und die Bedeutung der Kirchen als „moralische Instanz“ unserer Gesellschaft haben sich gravierend verändert, die Kirchen haben an moralischem Anspruch deutlich verloren. Deswegen ist es hohe Zeit, dass die gesetzlichen Regelungen, die teilweise der Weimarer Reichsverfassung entnommen sind, angepasst werden. Das braucht Zeit, muss aber dennoch zum Wohle unserer Gesellschaft in Angriff genommen werden. Die Kirchen dürfen keine Sonderrechte mehr haben. Das Ziel muss es sein, Staat und Kirche klar zu trennen und die Kirchen geltendem Recht und Gesetz unterzuordnen, wie das in anderen Demokratien auch gehandhabt wird. Religiöser Glaube und Kirchenzugehörigkeit sind reine Privatangelegenheit mündiger Bürger!

(30.05.2017)

 

Bei Interesse lesen Sie auch:

http://www.md-office-compact.de/EvangelischeAngriffeaufdiePolitik.htm

http://www.hansheinrichdieter.de/html/kirchenpopulistin.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/ohrfeigefuerkaessmann.html

 

 

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