Hans-Heinrich Dieter

Türkei-Ultimatum   (02.08.2016)

 

Erpressung ist nicht nur nach dem § 253 des deutschen Strafgesetzbuches eine Straftat - und schon der Versuch ist strafbar. Der chauvinistische Autokrat Erdogan lässt aber seinen Außenminister Cavusoglu der FAZ gegenüber sagen: „Wenn es nicht zu einer Visaliberalisierung kommt, werden wir gezwungen sein, vom Rücknahmeabkommen und der Vereinbarung vom 18. März Abstand zu nehmen.“ Und er fügt hinzu, dass seine Regierung ein festes Datum im Oktober 2016 für die zugesagte Visumfreiheit für türkische Bürger in der EU erwartet. Das ist ein besonders dreister Erpressungs-Versuch, weil die Türkei ganz genau weiß, dass sie sich verpflichtet hat, 72 Bedingungen für die Gewährung der Visumsfreiheit zu erfüllen, und eine ganze Reihe von diesen Bedingungen noch nicht erfüllt sind, insbesondere die Reform der Anti-Terror-Gesetzgebung, und weil die Türkei auch weiß, dass sie bei Aufkündigung des Flüchtlings-Deals mit der EU den Flüchtlingsstrom zur Destabilisierung Europas erneut in Gang setzen kann.

Die EU will sich allerdings von der Türkei nicht unter Druck setzen lassen und betont, die Visumsfreiheit werde es nur geben, wenn alle Bedingungen erfüllt seien, die EU-Kommission erwarte, dass die Türkei ihren Verpflichtungen nachkomme. Auch Deutschland zeigt sich mit deutlichen Aussagen des Wirtschaftsministers Gabriel ungewohnt standhaft: „In keinem Fall darf sich Deutschland oder Europa erpressen lassen.“ … „Es liegt an der Türkei, ob es Visa-Freiheit geben kann oder nicht.“ … „Ein Land, das sich auf den Weg macht, die Todesstrafe wieder einzuführen, entfernt sich so drastisch von Europa, dass natürlich damit auch alle Beitrittsverhandlungen letztlich überflüssig werden.“ Da kann man nur hoffen, dass sowohl Deutschland als auch die EU bei dieser Haltung bleiben.

Denn Kanzlein Merkel wirkt bisher erschreckend unterwürfig gegenüber dem türkischen Machthaber Erdogan und einer erpresserischen sowie unzuverlässigen Türkei. Dabei macht Erdogan keine Versteckspiele, sondern gibt sich seit etwa 2011 gegenüber der EU schamlos und anmaßend, pflegt als selbstverliebter Autokrat, Undemokrat und Gewaltherrscher einen unverschämt autoritären Politikstil und tritt die europäischen Werte mit Füßen. Nicht umsonst waren die Beitrittsgespräche ausgesetzt, denn die Türkei hat sich unter Erdogan den Fortschrittsberichten zur Folge im Hinblick auf die Beitrittsmöglichkeit zur EU zurückentwickelt.

Erst nach dem höchst fragwürdigen Flüchtlings-Deal der EU mit der Türkei wurden - wider besseres Wissen - Beitrittsverhandlungen wieder aufgenommen und Visumsfreiheit in Aussicht gestellt. Nach dem gescheiterten Putschversuch „reinigt“ Erdogan die Türkei nun von allen Kritikern in Justiz, Medien, Verwaltungsapparat und Militär, indem sie kurzerhand zu „Terroristen“ erklärt und massenhaft in Gewahrsam genommen werden. Die Türkei Erdogans, immerhin Mitglied im Europarat, verstößt dabei nicht nur gegen die europäischen Werte, sondern ebenso gegen die auch von der Türkei ratifizierte Menschenrechtskonvention.

Es ist deswegen nun höchste Zeit, sehr deutlich zu machen, dass die Wertegemeinschaft EU dieses unsolidarische und wenig partnerschaftliche Verhalten nicht hinnimmt. Die EU sollte die Beitrittsverhandlungen umgehend aussetzen und die noch nicht gezahlten Milliarden an Fördergeldern (Heranführungshilfen (IPA) in Höhe von knapp 5 Milliarden Euro für den Zeitraum 2014 bis 2020) an den Beitrittskandidaten Türkei einfrieren. Denn Europa braucht zwar diese Türkei als möglichen Partner zur Eindämmung des Flüchtlingsstroms - aber nicht zu jedem Preis. Und wenn der höchst fragwürdige Deal von der Türkei aufgekündigt wird, dann muss die EU einerseits mit den dann aufkommenden Problemen fertig werden, andererseits wird sie ein Glaubwürdigkeitsproblem los, denn die Türkei ist in ihrer derzeitigen Verfassung schon lange kein sicherer Drittstaat, in den Flüchtlinge zurückgeschoben werden dürfen, nicht umsonst wird nicht selten von einem „schmutzigen Deal" gesprochen. Darüber hinaus entfallen dann die Zahlungen an die Türkei für die Versorgung der Flüchtlinge in der Türkei.

Es ist auch an der Zeit, dass sich die NATO einschaltet, wenn Operationen von NATO-Mitgliedern gegen den IS aus der Luftwaffenbasis Incirlik heraus behindert oder unterbrochen werden. Außerdem sollte erwartet werden können, dass die NATO Deutschland bei dem Vorhaben unterstützt, die in Incirlik stationierten deutschen Soldaten durch Abgeordnete des Deutschen Bundestages besuchen zu lassen. Die NATO ist eine Solidargemeinschaft und deswegen ist es auch die Pflicht der Gemeinschaft, solidarisches Verhalten einzufordern. Es sollte außerdem ein Plan erarbeitet werden, um bei Bedarf  zukünftig die Operationen gegen den IS aus einem anderen Nah-Ost-Staat heraus führen zu können.

Deutschland sollte mit der Türkei intensiv in Kontakt bleiben und sich die jeweiligen türkischen Schritte, weg von der EU und hin zu einer „Präsidialdiktatur“, vom türkischen Botschafter in Deutschland genau erklären sowie begründen lassen und bei Bedarf die Entwicklungen, gemessen an den europäischen Werten, deutlich kommentieren. Darüber hinaus sollte Deutschland eine Reisewarnung für die Türkei aussprechen, denn die Türkei ist derzeit kein sicheres Land und wenn deutschtürkische Politiker und Erdogankritiker in Deutschland verfolgt werden, sind auch deutsche Urlauber in der Türkei vor Ãœbergriffen nicht sicher.

Europa braucht die Türkei als Partner, das darf aber nicht zu Unterwürfigkeit und ungerechtfertigten Zugeständnissen führen. Die Türkei mit ihrem großen Handelsbilanzdefizit braucht aber auch Europa. Wenn Kredite für eine unzuverlässige und inzwischen von der Ratingagentur S&P als „Hochrisikoland“ (Risikobewertung Stufe 5, hohes Risiko) eingestufte Türkei Kredite zukünftig nur zu besonderen Konditionen bekommt, wenn europäische Investoren aufgrund der Negativentwicklung in der Türkei Abstand nehmen und wenn der Tourismus einbricht, wird die Türkei eine sehr schwere Zeit durchmachen.

Wir in Europa, die EU aber auch die NATO, brauchen die Türkei auch in Zukunft, allerdings nicht als vorwiegend muslimische Regionalmacht im Nahen und Mittleren Osten mit tendenziell nationalistischem Verhalten, sondern als den westlichen Werten aufgeschlossenes muslimisches Land, das sich als solidarischer Partner der Gemeinschaft versteht.

Heute hat Erdogan in Ankara dem Westen vorgeworfen, Terrorismus und Staatsstreiche zu unterstützen, denn der Putschversuch vom 15. Juli sei nicht nur in der Türkei, sondern auch im Ausland geplant worden. Die Türkei dieses beleidigenden Erdogan wird für Europa erst nach viel politischer Arbeit wieder ein wertvoller Partner werden können.

(02.08.2016)

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