Hans-Heinrich Dieter

Türkei in Syrien   (29.02.2020)

 

Die Türkei unter dem stramm nationalistischen und erpresserischen Autokraten Erdogan ist selbstverschuldet in einer schwierigen Lage. Denn der türkische Präsident hat am 09. Oktober – offensichtlich nach Zustimmung Trumps und Absprache mit Putin - einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Syrien vom Zaun gebrochen. Die Türkei verletzt mit ihrer Militäroffensive, zunächst gegen den Nordirak, die Souveränität und die territoriale Integrität Syriens und greift Soldaten der Kurdenmiliz YPG – also syrische Bürger – an. Für diesen Angriffskrieg gibt es keine von der UNO geschaffene Grundlage, wie etwa eine Ermächtigung des UN-Sicherheitsrates, sondern nur die Behauptung Erdogans, dass die YPG eine Terrororganisation sei. Das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der UN-Charta kann auch nicht zur Anwendung kommen, denn es gibt keinen bewaffneten Angriff der YPG auf das Territorium der Türkei und ein solcher Angriff steht auch nicht erkennbar bevor.

Präsident Erdogan reagierte damals empört auf die einhellige Verurteilung der völkerrechtswidrigen Offensive und wies die Kritik harsch zurück - vor allem die aus der EU: "Hey, Europäische Union. Reißt Euch zusammen. Seht, ich sage es noch einmal: Wenn ihr versucht, unsere aktuelle Operation als Besatzung zu bezeichnen, dann haben wir leichtes Spiel. Dann öffnen wir die Türen und schicken euch 3,6 Millionen Flüchtlinge!“ Und der türkische Außenminister forderte sogar sehr dreist und frech von der NATO eine „klare Solidarität“, schließlich sei die Militäroperation „sehr wichtig für die Sicherheit des Territoriums des Bündnisses“. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Ein NATO-Mitglied fordert doch tatsächlich von der westlichen Verteidigungsorganisation, die sich auch als Wertegemeinschaft versteht, Solidarität bei türkischem Verstoß gegen internationales Recht und Völkerrechtsverletzungen! Deutlicher kann man sich als unwürdiges und untaugliches NATO-Mitglied nicht entlarven.

Und Erdogan droht der EU tatsächlich mit Aufkündigung des Flüchtlingsabkommens von 2016 und einer von der Türkei unterstützten Schleuserkriminalität in Richtung Europa „zugunsten“ von 3,6 Millionen Flüchtlingen. Anschaulicher kann man sich als politischer Erpresser nicht präsentieren.

Und nun liefert sich die türkische Armee im Raum Idlib einen direkten militärischen Konflikt mit syrischen Truppen und einen indirekten mit russischen Truppen, bei dem in der Nacht zum Freitag 33 türkische Soldaten ums Leben kamen. Die Provinz Idlib ist das letzte noch von islamistischen Aufständischen kontrollierte Gebiet in Syrien. Die Türkei und Russland hatten vereinbart, dort eine Deeskalationszone einzurichten. In den vergangenen Wochen rückte das syrische Militär jedoch mit Unterstützung aus Moskau vor. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind fast 950.000 Menschen auf der Flucht. Der Angriff auf türkische Stellungen hatte Gegenangriffe der türkischen Armee auf mehrere Stellungen der von Russland unterstützten syrischen Regierungstruppen zur Folge.

Die Gefahr einer Konfrontation mit russischen Streitkräften hatte zur Folge, dass der türkische Außenminister Cavusoglu bei NATO-Generalsekretär Stoltenberg unter Berufung auf Artikel 4 des NATO-Vertrags die Unterstützung der Partner einforderte. Und in Richtung EU drohte die Türkei erpresserisch mit dem Öffnen der Tore für Flüchtlinge in Richtung Europa. Und die Flüchtlinge haben sich bereits massenhaft auf den Weg gemacht und treffen zwischen Kastanies und Pazarkule und bei Edirne auf massiv geschlossene Grenzabschnitte zwischen der Türkei und Griechenland. Das bulgarische Verteidigungsministerium erklärte, man werde tausend Soldaten zur Sicherung der Landesgrenze zur Türkei einsetzen.

Diese explosive Lage war inzwischen auch Thema einer Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrates in New York. Die USA sagten dabei ihrem Verbündeten Türkei Rückendeckung für weitere militärische Schritte zu. Die Türkei habe die volle Unterstützung der USA, wenn es darum gehe, auf ungerechtfertigte Angriffe auf Beobachtungsposten zu reagieren, erklärte die amerikanische UNO-Botschafterin Craft.

NATO-Generalsekretär Stoltenberg hat bei einem eilig einberufenen Sondergipfel angesichts des Konflikts zwischen der Türkei und Syrien zur Deeskalation aufgerufen. Die NATO zeigt sich solidarisch und verurteilt die Angriffe auf türkische Soldaten, sieht darin aber keinen Fall, mit dem Artikel 5 des NATO-Vertrages zum Tragen käme. Deswegen bietet die NATO lediglich Luftraumüberwachung an. Denn die NATO sieht weder die Unversehrtheit des Staatsgebietes noch die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit der Türkei bedroht. Im Gegenteil: Die Türkei hat trotz der Warnungen und Kritik der Nato-Partner die Grenzen zu Syrien mit Truppen überschritten und völkerrechtswidrig fremdes Territorium besetzt. Die Europäische Union appelliert an die Führung in Ankara, den Flüchtlingspakt einzuhalten. Inzwischen hat Erdogan das vorläufige Ende des Flüchtlingspaktes verkündet!

Die NATO sollte konsequent bei ihrer Haltung bleiben und auf keinen Fall dem Ersuchen der Türkei nach Unterstützung gem. Artikel 4 und 5 des NATO-Vertrages nachgeben. Denn die Türkei unter dem muslimischen Autokraten Erdogan versteht Entgegenkommen – genau wie der Autokrat Putin – immer falsch. Erdogan und Putin reagieren nur wenn ihre Staaten durch starke, konsequente Gegenmaßnahmen Nachteile haben und ihre Macht dadurch beeinträchtigt wird. Und was nützt uns ein Staat als NATO-Partner, der wie die Türkei von geostrategischer Bedeutung ist, aber im Endeffekt chauvinistisch – und wie im Syrien-Konflikt auch völkerrechtswidrig - gegen unsere Wertegemeinschaft agiert?

Die EU sollte den Erpressungsversuchen Erdogans, der zunehmende Verachtung für die europäischen Werte zeigt und mit dem fortschreitenden Abbau demokratischer Rechte sein Land immer weiter von der EU wegführt, nicht nachgeben, die Außengrenzen der EU schließen, die betroffenen Staaten durch Genzschutzkräfte verstärken, und die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei endgültig beenden.

(29.02.2020)

 

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