Hans-Heinrich Dieter

Türkischer Krieg gegen Syrien   (26.01.2018)

 

Die Türkei führt seit Tagen einen Angriffskrieg gegen Syrien - und die USA, die EU, die NATO und Deutschland kommentieren das mit lauwarmen Sprüchen und Aufforderungen zur Mäßigung sowie Verhältnismäßigkeit. Einige weniger intelligente westliche Politiker gehen sogar der türkischen Propaganda auf den Leim und sprechen vom Recht der Türkei auf Selbstverteidigung. Und auch der UN-Sicherheitsrat kann sich nicht zu einer Resolution durchringen.

Dabei ist der Bruch des Völkerrechts durch die Türkei doch relativ offensichtlich. Die Türkei verletzt mit ihrer Militäroffensive, zunächst in den Raum Afrin, die Souveränität und die territoriale Integrität Syriens und greift Soldaten der Kurdenmiliz YPG – also syrische Bürger – an. Für diesen Angriffskrieg gibt es keine von der UNO geschaffene Grundlage, wie etwa eine Ermächtigung des UN-Sicherheitsrates, sondern nur die Behauptung Erdogans, dass die YPG eine Terrororganisation sei. Da aber Erdogan seinen ehemaligen Freund Gülen und so ziemlich jeden Kurden sowie Oppositionellen zum Terroristen erklärt, sollte die westliche Welt diesen Propagandavorwand an sich richtig einordnen können. Das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der UN-Charta kann auch nicht zur Anwendung kommen, denn es gibt keinen bewaffneten Angriff der YPG auf das Territorium der Türkei und ein solcher Angriff steht auch nicht erkennbar bevor. Die Türkei hat außerdem den UN-Sicherheitsrat über einen solchen drohenden Angriff nicht informiert. Absprachen zwischen dem türkischen Generalstab und Moskau sind dafür kein Ersatz. Und Autonomiebestrebungen einer Bevölkerungsgruppe in einem Nachbarland rechtfertigen ja wohl keine aggressive „Selbstverteidigung“ mit Waffengewalt.

Die „Operation Olivenzweig“ gegen die syrisch-kurdische YPG ist offenbar auch eine Reaktion auf die Pläne der USA, zum Schutz der syrischen Nord-Grenze eine 30.000 Mann starke, kurdisch dominierte Truppe aufzustellen. Denn die türkische Regierung vertritt den Standpunkt, dass die türkische Grenze nicht von „Terrorgruppen“ kontrolliert werden darf. Deswegen ist damit zu rechnen, dass nach einem Angriffserfolg auf Afrin die Türkei den Krieg gegen den großen Rest des Kurdengebiets in Syrien, die für autonom erklärte Region „Rojava“, ausweitet. Erdogan hat bereits verkündet, dass der Feldzug vom derzeitigen Schwerpunkt um Afrin über die kurdische Stadt Manbidsch bis zur irakischen Grenze gehen werde, „bis kein Terrorist übrig ist“. Damit gibt Erdogan großmäulig zu, dass es nicht um „Selbstverteidigung“ geht, sondern um einen völkerrechtswidrigen, „ja mörderischen“ Angriffskrieg, denn es soll ja offensichtlich auch der letzte mutmaßliche „Terrorist“ auf syrischem Territorium ausgerottet werden. Die Reste des IS – also die wirklichen Terroristen - interessieren Erdogan dabei ganz offensichtlich nicht!

Die YPG ist der bewaffnete Arm der syrisch-kurdischen Partei PYD, die personell und ideologisch unbestreitbar enge Verbindungen zur PKK hat. Die PYD und die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK in der Türkei sind aber nicht dieselbe Organisation. Die YPG kann daher nicht begründet als „Terrororganisation“ bezeichnet werden. Es handelt sich um syrische Bürger. Die syrische Regierung hat die Operation der Türkei im syrischen Afrin daher auch als „groben Ãœberfall“ bezeichnet und die Verletzung syrischen Territoriums verurteilt. Darüber hinaus haben die USA im Kampf gegen den IS in Syrien vor allem das Bündnis SDF - die Syrischen Demokratischen Streitkräfte (Syrian Democratic Forces) als Bodentruppen genutzt und dieses Bündnis wird von der kurdischen YPG geführt. Und beim Kampfeinsatz am Boden haben sich gerade die syrischen Kurden in hohem Maße bewährt. Die Amerikaner unterstützen die SDF mit etwa 2000 Mann - vor allem Spezialkräfte sowie Ausbilder und haben umfangreich Waffen geliefert. PYD und YPG sind also enge Verbündete der USA. Deswegen ist es verwunderlich, dass die USA den türkischen Angriffskrieg auf Syrien bisher nicht eindeutig und angemessen verurteilt haben.

Die Türkei wird aber in Schwierigkeiten kommen. So dürfte unter anderem das Verhältnis der Türkei zu den USA stark beschädigt werden. Denn es stehen sich jetzt zwei Verbündete der USA - der NATO-Partner Türkei und die YPG - direkt gegenüber. Und es ist außerdem nicht damit zu rechnen, dass die USA ihre Soldaten aus Syrien – vorwiegend aus der Region „Rojava“ – abziehen. Denn das würde bedeuten, dass die USA Russland und dem Iran das Feld überlassen und bei Verhandlungen über eine Friedenslösung übergangen werden könnten. Eine Verschlechterung des Verhältnisses der Türkei zu den USA ist im Sinne Moskaus – und Erdogan ist Putins Freund!

Der völkerrechtswidrige Angriff der Türkei auf Syrien schwächt die USA und stärkt Russland. Mit diesem Angriff entfernt sich die Türkei von der westlichen Welt und von der NATO. Das NATO-Mitglied Türkei kooperiert offen mit Moskau in Syrien und kauft russische Waffen, die mit der Bewaffnung von NATO-Partnern nicht kompatibel sind. Die Türkei als NATO-Mitglied paktiert bei Militärschlägen außerhalb ihrer Grenzen direkt mit Moskau – das bietet sich an, denn Russland hat reiche Erfahrung mit Völkerrechtsverletzungen – das stößt die NATO-Partner vor den Kopf. Der türkische Präsident will mehr Einfluss im Mittleren Osten gewinnen und scheut aus innenpolitischen Gründen nicht vor einer Völkerrechtsverletzung zurück um seinen Vernichtungsfeldzug gegen Kurden auch auf Syrien - und später gegebenenfalls den Irak -auszudehnen. Und bei der Verfolgung seiner Interessen nimmt Erdogan nach bisherigen Erfahrungen keine Rücksicht.

Es bleibt aber abzuwarten, wie sich der Angriffskrieg der Türkei entwickelt. Um Afrin herum sind Erfolge durchaus möglich. Wenn sich der Krieg auf die Kurdenregion „Rojava“ ausweitet, wird es für die Türkei schwer werden, sich gegen die kampferprobten YPG-Milizen durchzusetzen. Und je mehr zivile Opfer zu beklagen sind desto mehr wird der Druck auf den Aggressor Türkei steigen und die Sympathie für die Kurden wachsen. Und die türkischen Kurden werden dem aggressiven Treiben der Türkei wohl auch nicht tatenlos zusehen. Vielleicht fasst sich ja der NATO-Generalsekretär als Vertreter einer westlichen Wertegemeinschaft ein Herz und verurteilt die türkische Aggression. Und möglicherweise sind die türkischen Völkerrechtsverletzungen ja auch ein triftiger Grund für die EU, endlich zu einer konsequenten Politik gegenüber der Türkei zu finden und die Beitrittsverhandlungen abzubrechen. Deutschland sollte eine eindeutige Reisewarnung aussprechen, denn wer wollte deutsche Bürger schon in einem Kriegsgebiet Urlaub machen lassen?

Was nützt uns ein Staat als Partner, der von geostrategischer Bedeutung ist, aber im Endeffekt chauvinistisch gegen unsere Wertegemeinschaft agiert?

(26.01.2018)

 

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