Hans-Heinrich Dieter

Ukraine und die NATO   (27.12.2014)

 

Am 23.12.2014 hat das ukrainische Parlament mit einer deutlichen Verfassungsmehrheit von 303 gegen 8 Stimmen den blockfreien Status des Landes aufgehoben. Das verabschiedete Gesetz sieht darüber hinaus die "Vertiefung der Zusammenarbeit" mit der NATO vor, "mit dem Ziel, Kriterien des Beitritts zu dieser Organisation zu erreichen". Die Ukraine will in einer besseren Lage sein, um seine "Unabhängigkeit, Souveränität und Unverletzlichkeit der Grenzen zu verteidigen".

Russland reagiert wie erwartet mit Vokabeln, die die Ukraine für die Sowjet-Propaganda als "Feind" aufbauen: "kontraproduktiv", "Eskalation der Konfrontation", "unfreundlicher Schritt", "Gefährdung der Sicherheit Europas" etc, etc.

Am 24.12.2014 kamen die Ukraine und prorussische Separatisten erstmals nach vier Monaten wieder zu direkten Gesprächen in der weißrussischen Hauptstadt Minsk zusammen. Mit Vertretern aus Moskau und unter der Schirmherrschaft der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vereinbarten sie aber lediglich einen neuerlichen Gefangenenaustausch. Die für Freitag vorgesehenen Gespräche wurden ohne Begründung abgesagt. Es war nicht erkennbar, dass Putin im Sinne einer Konfliktlösung auf seine Brüder im neurussischen Glauben eingewirkt hat. Das würde auch nicht seinem offenkundigen Destabilisierungsziel entsprechen.

Am 26.12.2014 unterschrieb Putin dann eine Neufassung der russischen Militärdoktrin von 2010,in der der Ausbau der militärischen Fähigkeiten der NATO und deren Ausweitung an die Grenzen der Russischen Föderation als Risiken für die Sicherheit Russlands eingestuft werden. Die NATO wurde also durch Russland vom Partner über den Gegner zum neuen "Feind" hochstilisiert. Da passt der Vorwurf Putins, der Westen wolle sein Land zerschlagen, weil es zu stark geworden sei und daher nutze der Westen die Ukraine-Krise nur als Vorwand für Sanktionen. Hier wird deutlich, wie gering die Erfolgsaussichten weiterer Gespräche mit Putin sind. Es ist Putin, der die Partnerschaft mit Europa aufkündigt und die NATO aus innenpolitischem Kalkül zum Feind erklärt, während die NATO am NATO-Russland-Rat bisher festhält und auf Botschafterebene Gespräche mit Russland führt. Aber warum sollte man eigentlich an der NATO-Russland-Akte festhalten, wenn Russland sie bereits mehrfach gebrochen sowie zur Makulatur gemacht und die Partnerschaft mit Europa und der NATO aufgekündigt hat?

Ob die Aufhebung der Blockfreiheit der Ukraine in der derzeitigen Lage und unmittelbar vor den lange angestrebten direkten Gesprächen zwischen der Ukraine und den Separatisten politisch besonders geschickt war, kann man diskutieren, denn dadurch wird die Einigung über eine dauerhafte Waffenruhe gefährdet und somit auch eine Grundlage für die dringend erforderlichen Reformen in der Ukraine. Der mit großer Mehrheit getroffenen Entscheidung müssen aber die NATO-Mitgliedstaaten und die EU mit Verständnis und Respekt begegnen. Die Ukraine ist ein souveräner Staat und kann selbst entscheiden, wie es seine Sicherheit gewährleisten will. Russland hatte der Ukraine 1994 Sicherheitsgarantien zugesichert und sich vertraglich verpflichtet, die Grenzen der Ukraine und seine politische Unabhängigkeit zu achten. Statt die Unabhängigkeit und Einheit der Ukraine zu achten, hat Russland die Krim völkerrechtswidrig annektiert, den blutigen Konflikt in der Ostukraine geschürt, mit Waffen und Soldaten unterstützt und betreibt aktiv die Spaltung und Destabilisierung der Ukraine.

Selbst Putinversteher und Putinjünger werden nicht unterstellen wollen, dass westliche Sanktionen als Vorwand genutzt werden, um das wirtschaftlich schwache und schlecht strukturierte Russland zu "zerschlagen, weil es zu stark geworden ist". Selbst die, die unterwürfig auf Knien zu Putin rutschen würden, um eventuell kleine Zugeständnisse zu erreichen, wissen, dass die moderaten und ausgewogenen Sanktionen eine Antwort sind auf die völkerrechtswidrige Kriegführung Russlands gegen die Ukraine mit dem Ergebnis der Annexion der Krim und dass Russland aufgezeigt werden muss, dass die aggressive Destabilisierungspolitik unter Verletzung der Souveränität gegenüber der Ukraine und die offenkundige Unterstützung des Bürgerkrieges der prorussischen Separatisten in der Ostukraine nicht einfach hingenommen wird. Und die NATO reagiert auf die tiefsitzende Angst baltischer und osteuropäischer Anrainerstaaten vor einem aggessiven nationalistischen und neoimperialistischen Russland. Die NATO macht deutlich, dass es bereit ist, für seine Werte einzustehen und den Beistandsverpflichtungen gegenüber den Mitgliedstaaten nachzukommen. Dabei ist es nicht die NATO, die Russland aggressiv einkreist, es ist Russland, das durch seine aggressive Politik, ehemalige Sowjetrepubliken und Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes geradezu unter das Schutzdach der NATO drängt. Noch vor einem Jahr war eine Mehrheit der Ukrainer dafür, dass sich die Ukraine keinen militärisch-politischen Bündnissen anschließen aber durchaus eine "konstruktive Partnerschaft" mit der NATO und anderen Bündnissen weiterführen solle. Die große Verfassungsmehrheit vom 23.12.2014 für eine neue Politik hat der aggressive Ex-KGB-Agent Putin zustande gebracht!

Vom baldigen NATO-Beitritt der Ukraine kann aber noch keine Rede sein. Die Ukraine strebt lediglich die "Vertiefung der Zusammenarbeit" mit der NATO an, "mit dem Ziel, Kriterien des Beitritts zu dieser Organisation zu erreichen". Von der Erfüllung der Kriterien für einen NATO-Beitritt ist die Ukraine noch genauso weit entfernt wie von einem einstimmigen positiven Votum der NATO-Mitgliedstaaten. Auch die Bundesregierung spricht sich aus guten Gründen gegen eine baldige NATO-Mitgliedschaft der Ukraine aus. Und deswegen sollte der NATO-Generalsekretär auch keine falschen frühzeitigen Hoffnungen wecken. Die NATO verbindet aber seit 2008 eine Partnerschaft mit der Ukraine. Die Ukraine war sogar als Kandidat für den Beitritt zum NATO Membership Action Plan vorgesehen, bis diese Politik auf Druck Moskaus 2010 durch Janukovich gestoppt wurde.Wenn man aber die Ukraine als souveränen Staat ernst nimmt, dann muss man ihn auch souverän agieren lassen und auf dieser Grundlage die NATO-Mitglieder zu gegebener Zeit über eine Mitgliedschaft der Ukraine gemeinsam entscheiden lassen, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind. Davon sollten wir uns auch nicht durch russisches Propaganda- und Kriegsgeschrei abbringen lassen.

Rücksichtnahme auf Moskauer Empfindlichkeiten ist so lange falsche Politik, wie Russland seine aggressive Politik mit der Bereitschaft zu Völkerrechtsverletzungen nicht grundlegend ändert und nicht von sich aus in die Partnerschaft mit Europa zurückkehren will. In welche politische Zwickmühle und wirtschaftliche Schieflage der kurzgewachsene Putin Russland geführt hat, wird auch dadurch deutlich, dass Putin versucht mit der Türkei als Mitgliedstaat des "Feindes NATO", eine strategische Partnerschaft einzugehen. Politische Lügner, Chauvinisten und Propagandisten wie Putin und Erdogan verstehen sich halt über selbsterrichtete Mauern hinweg.

(27.12.2014)

 

 

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