Hans-Heinrich Dieter

Unsichere Zukunft Afghanistans   (24.11.2014)

 

Im Rahmen der Verteidigungsminister-Konferenz der NATO Ende 2013 sagte Minister de Maizière: „Ich will nicht drumrumreden – die Sicherheitslage ist nicht so gut, wie wir sie uns in diesem Jahr erhofft haben.“ Das war nur diplomatisch ehrlich und deswegen nicht sehr aussagekräftig. Der im Januar 2014 erschienene Fortschrittsbericht zur Lage in Afghanistan im Jahr 2013 zeichnet denn auch ein Bild mit weit mehr Schatten als Licht. Danach hat Kabul die Reformversprechen für bessere Regierungsführung, den Kampf gegen die grassierende Korruption sowie Drogenanbau und Drogenhandel oder für eine Verbesserung der Menschenrechtslage nicht erfüllt. Von einer „ausreichenden Sicherheitslage“ konnte nicht die Rede sein, die Entwicklung gestaltete sich vielmehr eher negativ.

2009 kämpften etwa 29.000 Taliban-Islamisten in Afghanistan. Seit 2010 haben US-Spezialkräfte und Kampfdrohnen Hunderte von Taliban ausgeschaltet. Trotzdem kämpfen heute am Hindukusch geschätzte 37.000 Taliban gegen die Sicherheitskräfte und terrorisieren die afghanische Bevölkerung - mit zunehmender Intensität, landesweit. Dennoch läuft der Nato-Kampfeinsatz wie geplant und auch den Taliban gut bekannt, zum Jahresende 2014 aus. Und vor dem Ende des Nato-Kampfeinsatzes wird in Afghanistan mehr Schlafmohn zur Opiumproduktion angebaut als je zuvor. Die Anbaufläche hat laut UN-Büro zur Bekämpfung von Drogen und Kriminalität (UNODC) 2013 um 15.000 Hektar auf 224.000 Hektar zugenommen. Und die Opium-Produktion legte in diesem Jahr dementsprechend um 17 Prozent auf 6400 Tonnen zu. Das kann man auf die einfache Formel bringen, dass die Drogenbekämpfung in Afghanistan gescheitert ist. Auch die Korruption wurde 2014 nicht reduziert und von guter Regierungsführung ist Afghanistan noch weit entfernt. Da klammert man sich gerne an den bekannten "demokratischen Strohhalm", dass freie Wahlen mit mutiger Beteiligung der Bevölkerung überhaupt durchgeführt werden konnten. Die Taliban haben Zeit und die Initiative, und es gibt auch für die sogenannten "moderaten Taliban" offenbar keinen plausiblen Grund, sich in Gesellschaft einbinden zu lassen.

Jetzt liegt zum Ende des 13. deutschen Einsatz-Jahres eine "Zwischenbilanz des Afghanistan-Engagements" vor. Dieser Bericht soll auch der vorbereitenden Diskussion des Bundestagsmandates für den neuen Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der NATO-Mission "Resolute Support" ab 2015 dienen. Das federführende Auswärtige Amt formuliert in diesem Papier ernüchternde Ergebnisse, weil bei allen Zielen des deutschen Einsatzes "teils ganz erhebliche und schmerzhafte Lücken gegenüber dem anzustrebenden Endzustand verbleiben". Solche Lücken ergeben sich durch Mängel bei der demokratischen und auch wirtschaftlichen Entwicklung Afghanistans und bei der Einhaltung der Menschen- und Bürgerrechte. Und auch die aktuelle Sicherheitslage wird kritisch bewertet, weil zwar die großen Städte und die Gebiete entlang der wichtigen Verkehrsachsen durch afghanische Sicherheitskräfte mittlerweile hinreichend geschützt sind, es aber in den ländlichen Gebieten eine "überwiegend erhebliche Bedrohung" gibt. Dabei hat sich die Zahl von "überwiegend nicht kontrollierbaren" Arealen 2014 "tendenziell vergrößert". Damit sind auch die paschtunischen Rückzugsgebiete der Taliban gemeint, wo die Terroristen nach Belieben schalten und walten können. In diesen Regionen herrscht eine "überwiegend nicht kontrollierbare Sicherheitslage". Die Taliban und andere islamistische Gruppierungen bleiben also eine "erhebliche Bedrohung" für Afghanen, lokale Sicherheitskräfte und die afghanische Regierung - aber auch für die NGO´s, die Entwicklungshelfer und für die Soldaten der internationalen Gemeinschaft, die sich an der Folgemission "Resolute Support" ab 2015 beteiligen.

Die Bundeswehr sollte sich ursprünglich mit 600-800 Soldaten - ohne Kampftruppen - nur an der NATO-geführten Ausbildungs- und Unterstützungsmission beteiligen, wenn durch die afghanischen Sicherheitskräfte eine „ausreichenden Sicherheitslage“ gewährleistet sei. Aufgrund der gegebenen labilen Sicherheitslage sollen nun gemäß dem Entwurf des Mandats bis zu 850 - allerdings zum Selbstschutz befähigten - Soldaten mit dem Auftrag in Afghanistan bleiben, die lokalen Sicherheitskräfte lediglich auszubilden und in den Ministerien zu beraten. Deutschland wird aber zumindest 2015 in Nordafghanistan Führungsnation bleiben und dort in der fragilen Sicherheitslage vom Feldlager in Masar-i-Scharif aus zunächst für ein Jahr Verantwortung tragen. Wer sich beispielsweise die negative Entwicklung im Raum Kunduz vor Augen führt, kann sehr leicht feststellen, wie schwach die Sicherheitskräfte dort sind und welchen starken Einfluss die Taliban jederzeit und überall ausüben können. Präsident Obama hat reagiert und die Verlängerung des Kampfeinsatzes der US-Truppen gegen die Taliban angeordnet. Das Kontingent der Bundeswehr wird zumindest über die Fähigkeit zu begrenzter Gefechtsführung verfügen müssen.

Im Zwischenbericht des Auswärtigen Amtes ist vorsichtig formuliert: "Wir haben viel richtig gemacht, aber manches hätte noch besser sein können", ...es wurde "viel erreicht, aber wir sind noch lange nicht am Ziel" und ob der Einsatz erfolgreich war oder wird, sei "heute noch nicht abzusehen". Die Zukunft Afghanistans ist sehr unsicher, eine Stabilisierung ist noch nicht absehbar.

Sicher ist, dass Afghanistan noch über viele Jahre von Hilfszahlungen der internationalen Staatengemeinschaft abhängig sein wird und dass die Sicherheitskräfte noch jahrelang finanzielle Unterstützung aus dem Ausland brauchen werden, dafür sind bereits heute vier Milliarden Dollar zugesagt. Und Deutschland finanziert mit 430 Millionen Euro jährlich Entwicklungshilfe-Projekte in Afghanistan.

Nach dem langen und wenig erfolgreichen Engagement seit 2001 sollte Deutschland die Bundeswehr Ende 2016 aus Afghanistan abziehen und dann weitere Hilfszahlungen wirklich von konkreten rechtsstaatlichen und wirtschaftlichen Fortschritten abhängig machen und deutsche NGO´s nur noch dann einsetzen, wenn afghanische Sicherheitskräfte tatsächlich eine „ausreichende Sicherheitslage“ garantieren können.

(24.11.2014)

 

Lesen Sie auch: http://www.hansheinrichdieter.de/html/unsicheresafghanistan.html

 

 

nach oben

 

zurück zur Seite Klare Worte