Hans-Heinrich Dieter

Unzuverlässige Türkei   (22.02.2016)

 

Die NATO-Verteidigungsminister haben in Brüssel eine von Kanzlerin Merkel initiierte NATO-Marine-Mission in der Ägäis beschlossen. Auf Veranlassung Deutschlands hatten die Türkei und Griechenland die NATO gemeinsam darum gebeten, das Seegebiet zwischen beiden Ländern zu überwachen. Mit dieser Aufklärungsmission sollen Erkenntnisse über Schleuserbanden an die jeweiligen türkischen und griechischen Behörden weitergegeben werden, um Menschenschmuggel und verbrecherischen Netzwerken besser entgegentreten zu können. Es ist nicht Auftrag der NATO, Flüchtlingsboote abzudrängen oder zu stoppen. Die Türkei hat sich in dem Zusammenhang auch bereiterklärt, von der NATO entdeckte oder aus Seenot gerettete Flüchtlinge wieder aufzunehmen.

Die NATO-Mission hat kaum begonnen, schon gibt es Probleme mit der wenig vertrauenswürdigen und unzuverlässigen Türkei. Dem Athener Außenministerium zur Folge bestreiten türkische Behörden den Punkt in der Vereinbarung zwischen der EU, der NATO und Ankara, wonach von NATO-Schiffen gerettete Bootsflüchtlinge von der Türkei wieder aufgenommen werden sollen. Zudem gibt es offenbar Probleme mit dem Einsatz der NATO-Schiffe in Regionen der Ägäis, die nach Ansicht der Türkei entmilitarisiert sein müssen.

Auf diese Türkei als ihr „letztes Pferd“ setzt Kanzlerin Merkel, vorwiegend im Alleingang und offensichtlich ziemlich verzweifelt. Nachdem der Sondergipfel des „Clubs der Willigen“, bei dem eine Zwischenbilanz der Umsetzung des von der EU mit der Türkei ausgehandelten Aktionsplans gezogen werden sollte, am letzten Freitag mit Ministerpräsident Davutoglu ausgefallen ist, feiert die Kanzlerin es als ihren Erfolg, dass der Sondergipfel nun am 06.03.2016 nachgeholt werden soll. Wenn Kanzlerin Merkel und die anderen „Willigen“ allerdings gewollt und sich getraut hätten, dann wäre die Zwischenbilanz auch ohne Davutoglu zu ziehen gewesen. Die verhandelten Punkte sind bekannt und die Leistungen - oder besser Nichtleistungen - der Türkei sind teilweise mit Zahlen zu belegen. Zusammenfassend wäre festzustellen gewesen, dass die Türkei den mit der EU verhandelten Aktionsplan, mit dem auch vorgesehen ist, dass die türkischen Behörden massiv gegen die verbrecherischen Schleuser- und Schlepperbanden vorgehen, bisher nicht erfolgreich umgesetzt hat, denn die Flüchtlingszahlen in Richtung Griechenland sind nur witterungsbedingt teilweise leicht zurückgegangen und die verbrecherischen Schlepperbanden betreiben offenbar ungehindert weiter ihr lukratives Geschäft. Diese Niederlage wollte Frau Merkel mit den sehr wenigen verbliebenen „Willigen“ nicht eingestehen.

Bis zum 06.03.2016 hofft sie nun auf verringerte Flüchtlingszahlen durch den Einsatz der NATO-Schiffe und durch eine freundlich gestimmte Türkei. Diese möglichst freundlich zu stimmende Türkei hat sich unter Erdogan hauptsächlich im Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit, Verwirklichung der Menschenrechte sowie der Meinungs- und Pressefreiheit zurückentwickelt. Nie waren mehr Journalisten in Haft als heute. Die Türkei führt aus parteipolitischen Gründen einen Krieg gegen die PKK und die kurdische Bevölkerung und es ist zu erwarten, dass die Belagerung kurdischer Städte und die Bekämpfung auch kurdischer Bevölkerungsteile jetzt noch intensiviert werden.

Nach dem letzten Terroranschlag in Ankara hat die Türkei sehr schnell den syrischen Kurden und deren militärischem Arm, YPG, die Schuld zugewiesen, ohne Beweise vorzulegen. Mit diesem Vorwand beschießt die Türkei nun die kurdischen Milizen im Norden unter Verletzung des syrischen Territoriums völkerrechtswidrig mit Artillerie, um die Bildung eines zusammenhängenden kurdischen Einflussgebietes zu verhindern. Trotz mehrfacher internationaler Appelle setzt die Türkei ihre militärischen Angriffe auf die Kurden fort. Mit dem gleichen Ziel fordert Erdogan seit langem die Einrichtung einer Flugverbotszone, nicht um Flüchtlinge zu schützen, sondern um eine türkische Einflusszone im Norden Syriens zu schaffen. Nun versucht Erdogan mit allen Mitteln der Propaganda zu erreichen, dass Amerika und Europa endlich die ungeliebte PYD zu „Terroristen“ erklären. Die USA werden sich da nicht hinter die Fichte führen lassen, denn sie unterstützen die syrischen Kurden der PYD und deren militärischen Arm, YPG, mit Waffen und Luftangriffen, da sie effektiver als andere gegen den „Islamischen Staat“ kämpfen. Anders Frau Merkel - um die Autokraten in Ankara freundlich zu stimmen, unterstützt sie Erdogan, ohne Abstimmung mit den USA oder der EU, bei seiner Forderung über Syrien eine Flugverbotszone einzurichten.

Wie kann eine zunehmend unsolidarisch, autokratisch und nationalistisch agierende türkische Regierung ein verlässlicher Partner sein? Europa braucht aber diese Türkei als möglichen Partner zur Eindämmung des Flüchtlingsstroms - aber nicht zu jedem Preis. Und bei der Suche nach europäischen Lösungen sollten sich nicht einzelne Mitgliedstaaten ein Mandat anmaßen, sondern die EU-Kommission sollte sich für die europäische Gemeinschaft einbringen, ohne einem unwürdigen Beitrittskandidaten ungerechtfertigte Zugeständnisse zu machen.

Mit dieser Türkei sind zeitgerechte Erfolge bei Begrenzung der Flüchtlingszahlen höchst zweifelhaft!

(22.02.2016)

 

 

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