Hans-Heinrich Dieter

Ursache und Wirkung   (13.07.2014)

 

Israel hat jedes Recht, sich gegen die islamistische Terrororganisation Hamas zur Wehr zu setzen und seine Bevölkerung zu schĂŒtzen. Auf Raketenangriffe folgt militĂ€rische Gewalt. Auf Gewalt folgen Gegengewalt und Rache und die fĂŒhren zu noch grĂ¶ĂŸerem Hass. So schließt sich der Kreis, denn mit Hass hat alles, wie schon in den Jahren zuvor, angefangen.

Der unermĂŒdlich fĂŒr den Frieden in Nahost kĂ€mpfende US-Außenminister Kerry hatte Israel aufgefordert, sich zwischen Siedlungsbau und Frieden zu entscheiden, denn kurz nach der erneuten Friedens-Initiative hatte Israel den Bau von mehr als 1.800 weiteren israelischen Wohnungen in den besetzten PalĂ€stinensergebieten bekannt gegeben.

Und der US-Außenminister hatte Israel eine Frist gesetzt. Wenn die Verhandlungen bis April 2014 kein Ergebnis bringen sollten, wollte er sich an die Vereinten Nationen wenden. Das brachte natĂŒrlich Netanjahu unter Zugzwang und das verstimmte den israelischen MinisterprĂ€sidenten sowie seine teilweise rechtsradikale Regierung.

Das war Grund genug fĂŒr den israelischen Verteidigungsminister, Kerry zu beleidigen, indem er zum Ausdruck brachte, dass der US-Außenminister von der Friedensidee besessen sei und mit verfehltem messianischem Eifer agiere. Er sagte außerdem: "In Wirklichkeit gibt es gar keine Verhandlungen zwischen uns und den PalĂ€stinensern, sondern die Amerikaner sprechen mit uns und parallel mit den PalĂ€stinensern. Das einzige, was uns noch retten kann, ist der Friedensnobelpreis fĂŒr John Kerry, und dass er uns dann in Ruhe lĂ€sst." Jaalon hat insofern Recht, dass es diese Verhandlungen nicht gibt, weil Israel mit seiner ganzen Politik zum Ausdruck bringt, dass es Frieden auf der Grundlage einer Zweistaatenlösung nicht wirklich will.

Den israelischen Bauminister Uri Ariel scheren Friedensverhandlungen offenbar einen feuchten Kehricht. Er plante schon Ende 2013 den Bau von 20.000 weiteren Wohnungen fĂŒr Siedler im besetzten Westjordanland und wurde erst im November von Netanjahu gestoppt, um eine "unnötige Konfrontation der internationalen Gemeinschaft" zu verhindern. Denn nicht nur Außenminister Kerry kritisierte den israelischen Siedlungsbau als völkerrechtswidrig und als Hindernis fĂŒr den Frieden.

Der ultrarechte israelische Außenminister Lieberman gab sich da heimtĂŒckischer. Er schlug in dem Zusammenhang schon einmal vor, welche völlig heruntergekommenen Siedlungen israelischer PalĂ€stinenser gegen die neuen israelischen Siedlungen im Westjordanland eingetauscht werden könnten. Damit stieß er seine palĂ€stinensischen Landsleute vor den Kopf und machte außerhalb von Friedensverhandlungen schon einmal deutlich, was es heißt, den "jĂŒdischen Staat" Israel anzuerkennen. Das ist dann ein Staat, in dem auch keine israelischen PalĂ€stinenser mehr leben und in den auch keine palĂ€stinensischen FlĂŒchtlinge zurĂŒckkehren können.

Nach einer Meldung der israelischen Zeitung Yedioth Ahronoth hat Israels Wirtschafts- und Handelsminister Naftali Bennett im Sommer letzten Jahres dazu aufgefordert, festgenommene PalÀstinenser auf der Stelle zu töten, um so in Zukunft jeglichen Gefangenenaustausch zu verhindern.

Solche Menschen tragen in Israel Regierungsverantwortung. Solche unverbesserlichen Scharfmacher torpedieren jegliche FriedensbemĂŒhungen und erzeugen Hass in der israelischen Bevölkerung auf die PĂ€lĂ€stinenser. Die PalĂ€stinenser wiederum nehmen jeden Anlass, um mit dem Abbruch der Verhandlungen zu drohen, und die jungen, unzufriedenen, arbeitslosen PalĂ€stinenser sind zunehmend beeinflussbar durch terroristische Scharfmacher, die eine dritte Intifada einem Friedensschluss vorziehen, denn der Hass der Hamas und radikaler islamistischer Gruppen auf Israel ist ungebrochen.

Dann wurden die Friedensverhandlungen von Israel im Streit ĂŒber den Siedlungsbau im Westjordanland und die AnnĂ€herung der Fatah-Regierung des palĂ€stinensischen PrĂ€sidenten Mahmud Abbas mit der radikalislamischen Hamas ausgesetzt. Und die Saat der Politik Netanjahus/Liebermans/Bennets/Ariels und anderer rechtsradikaler Regierungsmitglieder ging auf. Es kam zu erheblichen Spannungen zwischen israelischen Jugendlichen und der arabischen Minderheit. Es kam wiederholt zu nĂ€chtlichen Gewaltanwendungen, zerstochenen Autoreifen, beschmierten HauswĂ€nden und Moscheen mit Slogans wie "Macht Moscheen dicht, nicht Torah-Schulen", geschmĂŒckt durch den Davidstern und Hinweise auf "Preisschild", was so viel heißt, dass fĂŒr Entscheidungen gegen die Siedler ein Preis zu zahlen ist. Deswegen liegt es auch nahe, dass hinter den 400 Attacken mit Verletzten oder SachschĂ€den im vergangenen Jahr jĂŒdische Jugendliche, möglicherweise aus den Siedlungen im besetzten Westjordanland, zu vermuten sind. In Folge kam es zu zahlreichen Übergriffen auf auslĂ€ndische Pilger sowie auf das Benediktinerkloster in Tabgha am See Genezareth und der Generalvikar des Lateinischen Patriarchats erhielt einen Drohbrief, der die arabischen Christen aufforderte, bis zum 5. Mai Israel zu verlassen. Andernfalls wĂŒrden hundert Christen getötet. Die katholischen Bischöfe in Israel befĂŒrchteten sogar AnschlĂ€ge im Zusammenhang mit dem Besuch von Papst Franziskus im Heiligen Land. Die Lage ist offenbar so zugespitzt, dass ehemalige Geheimdienstchefs der Regierung Netanjahu vorwerfen, sie verfolge die TĂ€ter nicht entschieden genug. Israel sei ein „Rechtsstaat, der die Gesetze nicht durchsetzt“. Die Saat der Politik Netanjahus/Liebermans/Bennets/Ariels trĂ€gt inzwischen bittere FrĂŒchte.

Und dann geschah der abscheuliche Mord an drei israelischen Jugendlichen im Raum Hebron. Das war Anlass fĂŒr Netanjahu, die Hamas als TĂ€ter zu beschuldigen und in Hebron und Umgebung ĂŒber mehrere Tage nĂ€chtliche Razzien durchzufĂŒhren, die palĂ€stinensische Bevölkerung kollektiv zu bestrafen und HĂ€user ohne nachgewiesene Schuld der Besitzer an den Verbrechen einzureißen. Die ausufernden Operationen der SicherheitskrĂ€fte und die Trauerfeierlichkeiten fĂŒr die drei Mordopfer wurden politisch begleitet durch Aufrufe zur Vergeltung offenbar nach dem Prinzip, fĂŒr ein israelisches Auge mehrere palĂ€stinensische Augen, fĂŒr einen israelischen Zahn mehrere palĂ€stinensische ZĂ€hne. Und die Saat ging wiederum auf, als israelische Radikale einen palĂ€stinensischen Jugendlichen verschleppten und bei lebendigem Leibe verbrannten. Die inzwischen bewiesene Tat von Barbaren und Unmenschen hat den gegenseitigen Hass verstĂ€rkt.

PalĂ€stinensischer Hass war dann Ursache fĂŒr Raketenangriffe der Hamas aus dem Gaza-Streifen auf israelische StĂ€dte und Einrichtungen. Die Folge sind in den letzten fĂŒnf Tagen und NĂ€chten Angriffe der israelischen Luftwaffe auf Ziele im ĂŒbervölkerten Gaza-Streifen, auch WohnhĂ€user mit ĂŒber 100 Toten unter der palĂ€stinensischen Zivilbevölkerung.

Sowohl die israelische Regierung als auch die radikal-islamische Hamas lehnen nach Vermittlungsversuchen derzeit GesprĂ€che ĂŒber eine Waffenruhe ab. Die Eskalation militĂ€rischer Gewalt und die VerschĂ€rfung des Konfliktes scheinen nicht gestoppt werden zu können. Zu tief sitzt der gegenseitige Hass und zu tief sind die Akteure auf beiden Seiten in der Spirale von Gewalt, Gegengewalt und Rache verstrickt. Das darf aber nicht dazu fĂŒhren, dass der Konflikt sich zu einem Krieg entwickelt, bei dem es keine Sieger geben kann.

Bei allem Recht, sich gegen die islamistische Terrororganisation Hamas zur Wehr zu setzen und seine Bevölkerung zu schĂŒtzen, muss Israel deswegen auch die VerhĂ€ltnismĂ€ĂŸigkeit und RechtmĂ€ĂŸigkeit von Gewaltanwendung im Auge behalten. Die militĂ€rische Operation Protective Edge darf nicht unverhĂ€ltnismĂ€ĂŸig vielen unschuldigen Zivilisten das Leben kosten. Und wenn ganz bewusst auch HĂ€user von Hamas-Mitgliedern Ziel von Angriffen sind, dann wird der Tod von Angehörigen bewusst in Kauf genommen und das verstĂ¶ĂŸt gegen internationales Recht. Solche Angriffe vertiefen den Hass nur weiter und schaffen zusĂ€tzliche HĂŒrden fĂŒr eine zwingend notwendige politische Lösung des Konfliktes.

Israel wird ein Leben seiner Bevölkerung in Sicherheit und Freiheit auf Dauer nicht mit militĂ€rischer Gewalt durchsetzen können. Sicherheit und Freiheit wird nur ein Frieden mit den PalĂ€stinensern auf der Basis einer Zweistaatenlösung gewĂ€hrleisten können. Dazu sind in wiederaufzunehmenden Friedensverhandlungen Kompromisse zu schließen, auch mit derzeitigen Feinden Israels, und der Siedlungsbau muss gestoppt werden. Und wenn Bundeskanzlerin Merkel das Recht Israels auf Selbstverteidigung bekrĂ€ftigt, dann sollte sie in gleichem Atemzug auch das Recht der PalĂ€stinenser auf ein eigenstĂ€ndiges Leben in WĂŒrde unterstreichen.

(13.07.2014)

 

 

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