Hans-Heinrich Dieter

Verdeckter Krieg - verdeckte Reaktionen?   (23.02.2015)

 

Wir im Westen wissen, welche Reaktion auf einen konventionellen Angriff gegnerischer Streitkräfte auf NATO-Territorium zu erfolgen hat. Dafür haben wir politisch und militärisch vorgesorgt, wenn auch erkennbar unzureichend.

Wenn aber ein ehemaliger "Partner" mit einer Gemengelage von Waffenlieferungen und Unterstützungsmaßnahmen für Aufständische sowie Terroristen, mit verdeckt eingesetzten eigenen Spezialkräften, unter Nutzung prorussischer ethnischer Milizen, mit umfangreichen Geheimdienstoperationen und unterstützt durch eine großangelegte Propagandakampagne internationales Recht bricht, die territoriale Integrität eines Nachbarstaates verletzt und souveräne Staaten bewusst politisch und wirtschaftlich destabilisiert, dann haben wir keine geeignete Antwort oder sind zu angemessenen Gegenmaßnahmen nur eingeschränkt befähigt oder bereit. Der Aggressor Putin führt einen verdeckten Krieg in der Ukraine und hat bisher gewonnen, weil die westliche Welt Putin und die nationalistischen Strömungen falsch beurteilt hat, über Gegenmaßnahmen unterschiedlicher Auffassung und deswegen nur zum Minimalkonsens fähig ist, einer pazifistischen Grundstimmung in den westlichen Gesellschaften folgt und aufgrund unserer Wertvorstellungen zu erfolgversprechenden Gegenmaßnahmen nicht bereitist, wenn sie mit Rechtsbruch und wirtschaftlichen Einbußen verbunden oder nicht im Einklang mit unseren Werten sein könnten. Einem unmoralischen Aggressor mit ausgeprägter rechtsbrecherischer Energie sind wir im Westen grundsätzlich unterlegen.

Die russische Aggression gegen die Ukraine ist ein gutes Beispiel für das Phänomen des verdeckten Krieges. Gleich zu Beginn des Separatistenaufstandes in der Ostukraine hat Russland 40.000 reguläre Truppen an der Grenze zur Ukraine für Manöver zusammengezogen. Das erregt die westliche Aufmerksamkeit und führt zu rein verbalen Gegenmaßnahmen. Die Nähe regulärer Truppen und die Fokussierung des Westens darauf nutzt Putin, um die Separatisten miltärisch umfassend zu unterstützen. allerdings wurden dazu nicht diese regulären Truppen infiltriert, sondern hochprofessionelle Spezialkräfte, die sich teilweise "verirrt" haben oder ihren "Urlaub" in der Ukraine verbingen. So können die Aufständischen und Terroristen immer mehr Macht über die Bevölkerung ausüben, die Abspaltung der Ostukraine vorbereiten und zur Destabilisierung der Ukraine beitragen. In dieser Phase bereitet Putin die verdeckte militärische Invasion der Krim vor und annektierte die Insel dann, um die Ukraine und die westliche Welt vor vollendete Tatsachen zu stellen und die Demütigung und Destabilisierung der Ukraine zu verstärken. Diese verdeckten militärischen Operationen begleitet Putin mit einem "Gas-Krieg" gegen die Ukraine, um starken wirtschaftlichen Druck auszuüben. Unter massiver Nutzung des Internets und der staatlichen russischen Medien eröffnet Putin gleichzeitig eine Desinformations- und Propagandaschlacht stalinistischen Stils, nur moderner und subtiler - Putin zelebriert geradezu modernen Information Warfare. Desinformation und Propaganda richten sich dabei sowohl auf die russische Bevölkerung aus, mit dem Erfolg einer massiven Steigerung des russischen Nationalismus und eines Stalinismus-Revivals, sie dienen aber auch der umfangreichen Desinformation und Meinungsbildung im Westen, mit dem Erfolg der Aufrechterhaltung der westlichen Illusionen von der Friedfertigkeit Putins und der gelungenen Rekrutierung von Putinverstehern, Putinjüngern und Putinspeichelleckern.

Die verdeckte militärische russische Unterstützung für die Separatisten durch Ausbildung, Logistik, Aufklärung, teilweise sogar operative Führung und schweres Kriegsmaterial ist dann so umfassend, dass die separatistischen Kämpfer eine militärische Überlegenheit erzielen können, mit dem Ergebnis erheblicher Geländegewinne für eine spätere Landverbindung zur Krim. Solche verdeckte Kriegsführung muss natürlich politisch dadurch begleitet werden, dass man sich vordergründig verhandlungs- und friedensbereit zeigt, jeglichen Einfluss und jegliche Unterstützung für die Separatisten abstreitet, aus der Position des Stärkeren verhandelt, Verhandlungsergebnisse umgehend zur Makulatur macht, Absprachen bricht, sich wiederholt durch geradezu unterwürfig erscheinende Bitten um erneute Gespräche hofieren lässt, um dann - zu die Ukraine demütigenden Bedingungen - im Sinne der Separatisten und natürlich der russischen Ziele so zu verhandeln, dass eine Waffenruhe erst einsetzen soll, wenn die berechnete Zeit für die Erreichung des nächsten strategischen Zieles - Debalzewe -abgelaufen ist. Parallel lässt sich Putin als Friedensfürst feiern und tut nichts, um auf die Separatisten im Sinne der Vereinbarungen einzuwirken. Die Vereinbarungen von Minsk II kommen so nur scheibchenweise zur Umsetzung, die Ukraine bleibt instabil und ist immer wieder gezwungen zu reagieren und liefert dadurch Nahrung für russische Desinformation und Propaganda. Gleichzeitig wird über die unkontrollierte Grenze militärisches Personal und Material nachgeschoben, um die Voraussetzungen für den Angriff auf die Region Mariupol zu schaffen. Die Abtrennung der Ostukraine mit noch zu definierendem Status wird so zunehmend zementiert und mangels anderer Möglichkeiten vom Westen genauso akzeptiert werden wie die Annexion der Krim. Das Vertrauen der ukrainischen Bevölkerung in die EU wird Zug um Zug schwinden und das Vertrauen der ost- und südosteuropäischen Partner in die NATO und in die EU wird stark leiden und damit werden weitere Ziele Russlands erreicht.

Was wären mögliche Antworten des Westens? Die USA und die NATO könnten auf den verdeckten Krieg Russlands mit verdeckten Operationen und großangelegten Unterstützungsmaßnahmen für Staaten im Interessenbereich Russlands antworten. Die EU könnte unterstützt durch die NATO eine großangelegte Infomationskampagne starten, um die russischen Minderheiten in den ost- und südosteuropäischen Staaten über die neue aggressive Politik Russlands und ihre Auswirkungen auf die europäische Friedensordnung zu informieren. Die USA könnten zusammen mit der NATO die Streitkräfte Moldawiens und Georgiens massiv wirtschaftlich und mit Entwicklungshilfe sowie militärisch durch Ausbildung und Waffenlieferungen so unterstützen, dass die Gesellschaften politisch und sozial stabilisiert und schneller an die Mitgliedschaft in westlichen Organisationen herangeführt werden. Die Verteidigungsfähigkeit der baltischen Staaten, Polens, Rumäniens und Bulgariens könnte gestärkt werden. Die NATO könnte für alle Partner ähnliche Eventualfallpläne mit dem Einsatz schneller Verstärkungskräfte vorhalten und deren Realisierung durch die Stationierung der erforderlichen Logistik sowie durch intensives Üben glaubhaft und erkennbar möglich machen. Darüber hinaus könnte Moldawien für verdeckte Operationen gegen russische Einrichtungen in Transnistrien befähigt werden. Gleiche Operationen könnten für die georgischen Konfliktgebiete Abchasien und Südossetien vorbereitet und unterstützt werden. Die politische und militärische Unterstützung für Georgien und Moldawien müsste schon aus geopolitischen Gründen sehr eng mit den politischen, wirtschaftlichen, sozialen und militärischen Unterstützungsmaßnahmen für die Ukraine koordiniert werden. Darüber hinaus könnten die USA zusammen mit Europa abgestimmte Cyber-Angriffe gegen russische Institutionen führen und auf Erfahrungen mit westlichen Geheimdienst-Operationen zurückgreifen.

Solche Reaktionen der westlichen Welt auf verdeckten russischen Krieg sind aber an sich schon nicht denkbar und noch weniger zu realisieren. Wir sind unseren Werten verpflichtete Demokratien mit unabhängigen Medien und friedensorientierten Wohlstandsgesellschaften. Verdeckte Operationen würden nicht lange "verdeckt" bleiben und Geheimdienstoperationen in den russischen Interessenbereich würden nicht lange geheim bleiben. Wir haben auf der Aggressionsebene "verdeckter Krieg" keine realisierbaren "verdeckten Reaktionsmöglichkeiten".

Der verdeckte russische Krieg in der Ostukraine geht aber weit über diese Region hinaus und betrifft uns sehr direkt und intensiv. Deswegen müssen wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, die mit unseren Wertvorstellungen vereinbar sind. Wir dürfen Putins völkerrechtswidrigen kriegerischen Aktionen nicht einfach - mehr oder weniger - klaglos und wertevergessen hinnehmen. Putin versteht nur Klartext und konsequentes Handeln auf der Grundlage politischer Stärke. Lavierende Zugeständnisse wertet er als Schwäche des "dekadenten Westens". Und solche Schwächen nutzt Putin konsequent aus. Je schwächer wir agieren, desto weiter wird Putin seine Ziele in der verdeckten Kriegführung stecken und auch zu erreichen versuchen. Nur einem illusionslosen, einigen, starken und konsequenten Europa gegenüber, das politisch mit den USA an einem Strang zieht, wird Russland möglicherweise dann Zugeständnisse machen, wenn die russischen Verhältnisse sich zu stark nachteilig entwickeln. Dazu müssen wir mit der NATO hinlängliche Abschreckungsmaßnahmen ergreifen, die Wirtschafts-Sanktionen durch die EU endlich - wie schon lange angekündigt - umgesetzt und immer dann verschärft werden, wenn Russland die Vereinbarungen Minsk II hintertreibt oder bricht. Die USA müssen diesen Prozess durch ein eigenes mit der EU abgestimmtes Sanktionsregime verstärken. Es muss auch überlegt werden, ob man Russland noch weiter isoliert und z.B. aus der Gruppe G20 ausschließt. Und die Vereinten Nationen müssen über eine Reorganisation des Weltsicherheitsrates ernsthaft und intensiv nachdenken, wenn dieses wichtige Instrument der Weltpolitik nicht durch ständige Blockade Russlands paralysiert bleiben und wertlos werden soll.

Wir dürfen keine Angst vor möglicherweise negativen Auswirkungen einer konsequenten Verteidigung unserer Werte sowie der Interessen unserer Partner haben und solche Angst als Schwäche offenbaren. Für einen Neu-Aggressor und neustalinistischen Kriegstreiber wie den Neu-Russen Putin ist solche Schwäche sehr viel provozierender als Stärke.

(23.02.2015)

 

 

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