Hans-Heinrich Dieter

Verkehrte Welt (18.03.2011)

 

Der UN-Sicherheitsrat hat sich schwer getan mit der Resolution zur Flugverbotszone über Libyen. Es ist gut, dass er sich nun entschieden und eine weitgehende Resolution verabschiedet hat, die auch die Bekämpfung militärischer Ziele aus der Luft zulässt. Wenn schon eine Drohkulisse aufgebaut wird, um das Vorgehen Gaddafis gegen sein eigenes Volk möglichst zu verhindern, dann soll sie auch glaubhaft sein - und wirksam, wenn aus der Drohung Krieg wird.

Die USA waren sehr zurückhaltend, denn sie wollen an sich nicht in einen neuen kostspieligen Krieg hineingezogen werden. Und Deutschland hat es sich als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat mit seinem berechtigten und notwendigen Eintreten für die Belange des libyschen Volkes nicht einfach gemacht. Deutschland ist offenbar bei seinem Abstimmungsverhalten davon ausgegangen, dass eine Zustimmung zum Einrichten einer Flugverbotszone Beteiligung an einem weiteren Krieg bedeutet. Das sollte vermieden werden. Deswegen die Enthaltung. Eine Zustimmung zur Einrichtung einer solchen Flugverbotszone hat allerdings die militärische Beteiligung an der Implementierung nicht zwangsläufig zur Folge. Hier gab es mehr politischen Spielraum.

Ich hätte mir eine deutsche Entscheidung gewünscht, die der politischen Linie der letzten Tage und Wochen folgend für die Resolution gestimmt und solidarisch angekündigt hätte, dass Deutschland bereit ist, sich im Rahmen seiner Möglichkeiten in die Bewältigung der Libyen-Krise zum Wohle der Libyer einzubringen. Das hätte Isolation, Verstimmung und Ansehensverlust in der westlichen Welt verhindern oder minimieren können.

Andererseits muss man einfach fairerweise auch feststellen, dass Deutschland erstmals bereit ist, als nichtständiges Mitglied im Weltsicherheitsrat eigenständig und selbstbewusst Politik - wohl im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung - zu machen. Da bleibt abzuwarten, ob denn die Regierung am Ende des Tages diese Politik auch durchhält und die Häme der bekannten Medien sowie die Kritik der Alliierten aushält. Eine klare und selbstbewusste Entscheidung braucht dann aber auch keine Ersatzhandlungen in Afghanistan oder Scheckbuch-Diplomatie.

Die USA haben nicht umsonst gezögert, denn die Politiker und Militärs dort haben intensive Erfahrung mit unzureichend begründeten und vom Zaun gebrochenen Kriegen in der muslimischen Welt – und mit deren wenig erfreulichen Resultaten. Präsident Obama hat offenbar dem Druck der Säbelrassler in den Medien und bei den Republikanern nicht standhalten können und letztendlich wenig überzeugt vom Sinn und Erfolg einer Flugverbotszone über Libyen und mit starken Bedenken wegen der Folgen einer militärischen Intervention eingelenkt.

Sarkozy hat innenpolitische Probleme und sich schon vorzeitig außerhalb europäischer Bemühungen in Macher-Posen gezeigt und gefallen. Die Briten sind immer dabei, wenn der Special-Ally USA im Spiel ist und Italien unter Berlusconi kann man bei politischen Beurteilungen vernachlässigen. Zumindest aber haben sowohl Frankreich wie auch Großbritannien vielfältige Verpflichtungen aufgrund ihrer nicht gerade segensreichen Kolonialvergangenheit und eine Menge gut zu machen. Das mag sie beflügelt haben.

In Deutschland war und ist das mediale Geschrei groß und meistens anmaßend, weil oft ziemlich plakativ und substanzlos.
Sinngemäß: Der UN-Sicherheitsrat leistet unzureichende Arbeit und ist zögerlich. Die EU ist zynisch und unfähig, Krisen zu bewältigen. Es sollte unbedingt und sofort eine Flugverbotszone eingerichtet werden. Die Freiheitskämpfer sollten mit Waffen unterstützt werden, am besten mit mobilen Flugabwehrsystemen. Die Freiheitskämpfer sind tief enttäuscht von Europa und der westlichen Welt. Warum wird Gaddafi nicht durch eine Operation von Spezialkräften liquidiert oder irgendwie unschädlich gemacht? Wie viele Tausende Menschen sollen noch sterben, bis die NATO endlich eingreift?

Sonst in der Wolle rot/grün gefärbte „Pazifisten“ und „Jung-68er“ versuchen sich im Säbelrasseln. Das Problem ist, dass sie keinen Säbel haben, den Gebrauch des Säbels nicht zu verantworten hätten und ohnehin mit Säbeln nicht umzugehen wissen. Das „Säbelrasseln“ wird durch "kriegstreiberisches Tintenspritzen" ersetzt. Und ausgerechnet die "rote" Heidi Wieczorek-Zeul geißelt die deutsche Stimmenthaltung vor dem Deutschen Bundestag als "Schande". Verkehrte Welt!

Was sind Tatsachen? Die Menschen in der arabischen Welt versuchen sich zu befreien. Das verdient unsere Unterstützung aber verlangt nicht unbedingt die Beeinträchtigung der Souveränität dieser arabischen Staaten. Die Methoden der Befreiung sind in den Ländern unterschiedlich. In Ägypten und in Tunesien haben wir friedliche und erfolgreiche Revolutionen erlebt, von Demokratien unserer Vorstellung sind wir dort allerdings noch weit entfernt und die werden wir auch nicht so schnell erleben – das sollten wir inzwischen aus dem Afghanistandebakel gelernt haben. In Libyen haben sich auch die Aufständischen bewaffnet und einen Bürgerkrieg mit zu verantworten. Die Medien reden ständig von Massakern an der libyschen Bevölkerung, ohne Zahlen, Daten, Fakten für die berichteten Gräuel zu liefern. Es gibt keine bestätigten Informationen über massenhaften Anfall von Toten und Verwundeten, dafür viel Propaganda von beiden Seiten und sich als „Strategen“ gebärdende Journalisten, die mit ihren Spekulationen und Mutmaßungen darauf hereinfallen. Die Bilder sind immer gleich, schlecht gestellt und unglaubwürdig, offenbar berichten die Reporter sehr weit weg von dem tatsächlichen Geschehen. Das schändliche Vorgehen des libyschen Machthabers gegen sein eigenes Volk darf nicht verharmlost werden aber es ist bisher nicht bekannt und durch Fakten belegt, dass es durch Waffenwirkung der Gaddafi-Truppen zu Massenverlusten unter der Zivilbevölkerung gekommen ist. Wie auch immer die Lage vor Ort sein mag, umfangreiche humanitäre Hilfe scheint unerlässlich.

Aber, wer sind die Freiheitskämpfer, wie sind sie organisiert, wer zeichnet verantwortlich, wer ist der Revolutionsrat und ist er ein halbwegs legitimierter Gesprächspartner, an wen sollte man ggf. Waffen liefern, für wen konkret ergreift die internationale Gemeinschaft Partei, für wen genau ist man bereit, Krieg zu führen? Diese Fragen sind alle nicht beantwortet, schon überhaupt nicht durch die „tintenspritzenden“ Medien.

Vielleicht noch wichtiger ist die Frage, welche Ziele die noch wenig organisierten Freiheitskämpfer verfolgen und welche konkreten Ziele – außer auch, Gaddafi muss weg - die Internationale Staatengemeinschaft bei einer Beteiligung am Krieg in Libyen auf der Seite der Aufständischen hat. Wann ist eine solche Kriegsbeteiligung erfolgreich? Die unzähligen Fehler im IRAK und in Afghanistan sollten nicht wiederholt werden.

Die arabische Liga hat eine Resolution verabschiedet: Die Vereinten Nationen mögen eine Flugverbotszone beschließen, allerdings sollten keine Truppen der internationalen Staatengemeinschaft bei der Implementierung eingesetzt werden. Das ist eindeutig. Die arabische Welt sieht die Lösung des Problems ganz offensichtlich – und berechtigt – als eine arabische, muslimische Aufgabe an. Und als so sollte sie auch gelöst werden. Die westliche Welt kann in der arabischen Welt an sich nichts richtig machen, zumindest nicht auf Dauer. Dazu sind die Kulturen, Lebensauffassungen und die Mentalitäten zu unterschiedlich.

Das heißt nicht, dass wir den betroffenen Völkern nicht helfen sollten. Im Gegenteil, wir müssen humanitäre Hilfe leisten und die Entwicklung dieser Staaten zu freiheitlichen Lebensformen unterstützen. Militärisch sollten wir uns aber nur engagieren, wenn es keine anderen Möglichkeiten gibt. Die Weltgemeinschaft sieht offenbar das Einrichten einer Flugverbotszone als Ultima Ratio an. Dann muss diese Entscheidung nun auch mit aller Konsequenz in eine ziemlich ungeklärte Lage hinein und trotz des unzureichenden Informationsstandes umgesetzt werden. Wir werden sehen, wie lange die überschäumende Freude der Aufständischen in Bengasi anhält.

Es gärt in der arabischen Welt, es sind eine ganze Reihe von "Dominosteinen" erkennbar. Das nächste, aber nicht das letzte militärische Engagement stünde möglicherweise bald im Jemen an. Da ist wirklich politisches Augenmaß gefragt.

(18.03.2011)

 

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