Hans-Heinrich Dieter

 

Viel Schatten am Hindukusch   (30.11.2012)

 

Der jüngste, vom Bundeskabinett verabschiedete Fortschrittsbericht Afghanistan wurde federführend vom Auswärtigen Amt und den drei weiteren beteiligten Ressorts im Auftrag des Bundestages erstellt. Das Parlament hatte eine umfassende Bestandsaufnahme des deutschen Engagements gefordert. Geliefert wurde eine eher allgemeine, teilweise rückblickende Darstellung der bereits bekannten Lage in Afghanistan und des deutschen Engagements im Rahmen der internationalen Gemeinschaft. Es fehlen die ehrliche Analyse und die zu ziehenden konkreten Schlussfolgerungen. Der Bundestag wird mit diesem Papier sicher wenig zufrieden sein. Allerdings wird sich das Parlament den Optimismus, den Kampfeinsatz am Hindukusch bis 2014 beenden zu können, nicht nehmen lassen wollen.

Der Außenminister spricht daher auch von „Licht und Schatten“. Undiplomatisch heißt das: viel Schatten und wenig Licht. Denn in Afghanistan fehlt ein staatliches Gewaltmonopol, die Korruption wurde nicht erfolgreich bekämpft – „Afghanistan bleibt auf dem vorletzten Platz des Transparency Internationalâ€Index“ - und die Staatsgewalt kann aufgrund willkürlicher Entscheidungsprozesse und unzureichend qualifizierten Personals nicht effektiv ausgeübt werden. Der Aufbau einer rechtsstaatlichen und entwicklungsorientierten Verwaltung ist bisher nur rudimentär gelungen. Und die Voraussetzung für eine „politische Lösung“ der gravierenden staatlichen Probleme, der Ausgleich mit den Taliban, wurde - von teilweise törichten Illusionen begleitet - in 2010 angestoßen und ist bisher ein Misserfolg. Die „wirklichen Taliban“ sind bisher nicht bereit zu Gewaltverzicht, Loslösung vom Terrorismus und Anerkennung des Verfassungsrahmens und lehnen entsprechende Verhandlungen ab. Der Drogenanbau konnte bisher hinsichtlich der Gesamterträge nicht erfolgreich reduziert werden und der Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte lässt auch zu wünschen übrig. Die Taliban sind weiterhin landesweit handlungsfähig und haben die Sicherheitskräfte teilweise unterwandert und die Zahl der Anschläge von Innentätern auf Soldaten der ISAF haben 2012 drastisch zugenommen. Das alles behindert den Ausbildungsfortschritt erheblich.

Bei allen Erfolgen in Menschenrechtsfragen, in der Infrastrukturentwicklung und in der Bildungsarbeit, Afghanistan bleibt auf weiteres ein hochgefährliches Land und auf absehbare Zeit auf massive internationale Unterstützung angewiesen.

Am Rückzug der Kampftruppen der internationalen Staatengemeinschaft bis 2014 wird sich allerdings nichts ändern, gleich welche Ergebnisse eine Analyse erbringt. Die Teilnehmerstaaten haben sich politisch festgelegt. Deswegen soll das deutsche militärische Kontingent bis Anfang 2014 von 4900 auf 3300 Soldaten verringert werden. Der Bundestag muss allerdings das neue Mandat noch beschließen.

Und hier stellt sich die Frage nach politischer und militärischer Verantwortung. Afghanistan ist weiterhin hochgefährlich, die politische Lage ist instabil, die Sicherheitslage ist prekär, der Ausbildungsstand der afghanischen Sicherheitskräfte lässt stark zu wünschen übrig, die afghanischen Sicherheitskräfte sind in Teilen kein verlässlicher und vertrauenswürdiger Partner, es werden weiterhin starke Kräfte für den Eigenschutz gebraucht, die logistische Gewährleistung des Rückzuges über lange und überdehnte Versorgungswege fordert zusätzliches logistisches Personal und zusätzliche Sicherungskräfte zur Gewährleistung hinreichend gesicherter logistischer Transporte. Und mit diesen dürren Worten ist das Problem bis 2014 nur angerissen. Nach 2014 werden die Soldaten der Ausbildungsmission in diesem unsicheren Umfeld geschützt werden müssen, und das geht nur mit Kampftruppen und Spezialkräften.

Der Deutsche Bundestag sollte mutig und mit Vertrauen gegenüber dem Verteidigungsressort den Beschluss fassen, dass das deutsche Kontingent bis Anfang 2014 möglichst 1600 Soldaten abbauen soll, wenn es die Lage erlaubt. Der Verteidigungsminister sollte die Öffentlichkeit ungeschminkt und detailliert über die tatsächliche Sicherheitslage in Afghanistan und die Schwierigkeiten des Rückzuges informieren und darauf einstellen, dass deutsche Kampftruppen und Spezialkräfte in erforderlicher Stärke in Afghanistan bleiben müssen, so lange es die Gewährleistung der Sicherheit für deutsche Staatsbürger erfordert.

Politische Zahlenspiele sind der Sicherheit unserer Soldaten abträglich. Wenn die Wahrheit der Öffentlichkeit plausibel vermittelt wird, dann verträgt der Bürger das auch, sogar in Zeiten des Wahlkampfes.

(30.11.2012)

 

 

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