Hans-Heinrich Dieter

Wachsender Realismus    (04.04.2013)

 

In seriösen Medien ist ein wachsender Realismus hinsichtlich des Bürgerkrieges in Syrien zu erkennen. Inzwischen wird zunehmend thematisiert, dass die Opposition zerstritten ist und die oppositionellen politischen Führer zwar ernannt, aber in Syrien kaum präsent und ohne administrativen Apparat auch nicht handlungsfähig sind. Die syrische nationale Koalition hat jetzt eine Botschaft in Doha. In der Arabischen Liga ist Syrien seit dem jüngsten Gipfel durch die Opposition vertreten. Die Syrische Nationale Koalition in Istanbul hat außerdem Ghassan Hitto als Interims-Ministerpräsidenten bestimmt. Das klingt politisch ganz nett und wird natürlich von den Außenpolitikern der Europäischen Union und von der Arabischen Liga „begrüßt“, ist aber schöne bunte, heiße Luft im Hinblick auf die positive Beeinflussung und die Beendigung des Bürgerkrieges.

Den Bürgerkrieg „gestalten“ militärisch auf Seiten der Opposition zunehmend ausländische Islamisten, Terroristen und Dschihadisten, allen voran die Al-Nusra-Front, die von den USA aufgrund ihrer engen Verbindungen zu Al Kaida als Terrorgruppe definiert wird. Die Kämpfer haben Erfahrung im Libyenkrieg und in anderen Konflikten gesammelt, haben sich aus den Arsenalen Gaddafis mit Waffen gut und reichlich versorgt und füllen sowohl die Lücken militärischen Könnens als auch präsenter politischer Führung in den „befreiten Gebieten“.

Von politischen Interims-Verantwortlichen erwartet man, dass sie die Voraussetzungen schaffen, um in den befreiten Gebieten zum Wohle der Menschen „regieren“ und für eine mögliche Zeit nach Assad eine Schatten-Verwaltung aufbauen. Aber davon ist die Opposition noch weit entfernt. In den „befreiten Gebieten“ gibt es für Hilfsorganisationen und für die Verteilung von Hilfsgeldern und möglicherweise auch Waffen kaum offizielle Ansprechpartner der Opposition. Das machen sich die geschätzt inzwischen 3000 radikalen Islamisten natürlich zunutze und gewinnen so auch politisch für Zeiten nach Assad erheblich an Einfluss.

Und die Opposition bleibt eine Gemengelage aus unterschiedlichen Gruppen religiöser und ideologischer Prägung ohne ein gemeinsames politisches Ziel, ohne gemeinsame Strategie und ohne gemeinsames Konzept, wenn man einmal von dem intellektuell wenig anspruchsvollen Ziel, „Assad muss weg!“, absieht.

Solange die Lage der Opposition derart desolat ist, sollten die EU-Außenminister dem vorwiegend innenpolitisch motivierten Drängen Großbritanniens und Frankreichs nicht nachgeben und am Waffenembargo für Syrien mindestens bis Ende Mai 2013 festhalten, sich auf ein gemeinsames Vorgehen im Syrien-Konflikt verständigen und Alleingänge von Mitgliedsstaaten verhindern.

Die Opposition wird vor allem durch Saudi-Arabien und Katar mit Geld und Waffen versorgt. Und die USA kontrollieren die Belieferung der Rebellen mit Waffen, Aufklärungsergebnissen und sensiblen Informationen von der Türkei aus und mit Agenten in Syrien. So kann in der derzeitigen diffusen Lage, in der nur Insider auf der Grundlage von soliden Geheimdiensterkenntnissen der unterschiedlichsten Quellen wissen können, wem zu trauen ist, wohl am besten verhindert werden, dass Waffen und sensible Informationen an die falschen Rebellen geliefert werden und in die Hände von Terroristen gelangen.

Die Europäische Union sollte sich darauf konzentrieren, den Aufbau einer Schatten-Verwaltung in Syrien zu unterstützen.

(04.04.2013)

 

 

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