Hans-Heinrich Dieter

Wertevergessene EU   (07.04.2021)

 

Die Türkei unter dem stramm nationalistischen und erpresserischen Autokraten Erdogan ist selbstverschuldet in einer schwierigen politischen und wirtschaftlichen Lage. Die Erdogan-Türkei ist in zunehmendem Maß außenpolitisch isoliert und der Rückhalt des Möchtegern-Sultans in der Bevölkerung nimmt deutlich ab. Und das militärisch aggressive und politisch provozierende Verhalten Erdogans in den letzten drei Jahren macht auch ganz deutlich, dass das NATO-Mitglied Türkei die Allianz belastet und der EU-Beitrittskandidat Türkei EU-untauglich ist.

Das führte dazu, dass die EU in ihrem neuesten Fortschrittsbericht zur Türkei ein vernichtendes Urteil fällt. Da heißt es unter anderem: „Die Türkei bewegt sich nach wie vor immer weiter weg von der Europäischen Union und verzeichnet ernsthafte Rückschritte mit Blick auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Grundrechte und der Unabhängigkeit der Justiz. Die anhaltenden Verhaftungen von Oppositionsführern, Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, Mitgliedern der Zivilgesellschaft und von Akademikern im Rahmen der umfassenden Anti-Terror-Gesetzgebung ist zutiefst besorgniserregend.“ Und im Hinblick auf Menschenrechte und unabhängige Justiz stellt die EU fest: „In der Türkei setzte sich die Verletzung von Menschenrechten unvermindert fort und diejenigen, die sich für Menschenrechte einsetzten, wurden häufig verhaftet.“ … „In der Türkei haben sich die ernsthaften Rückschritte, die seit dem Putschversuch 2016 zu beobachten waren, fortgesetzt. Politischer Druck und die Versetzungen einer großen Anzahl von Richtern und Staatsanwälten gegen ihren Willen gingen weiter und unterminierten somit die Unabhängigkeit der türkischen Justiz. Es besteht weiterhin große Sorge mit Blick auf die mangelnde systemische Unabhängigkeit der Justiz, wozu auch die Errichtung eines Parallelsystems von sogenannten Friedensrichtern gehört“.

Der türkische Präsident Erdogan zeigt also zunehmende Verachtung für die europäischen Werte und führt die Türkei mit dem fortschreitenden Abbau demokratischer Rechte immer weiter von der EU weg. Man kann die Türkei inzwischen nicht mehr als demokratischen Rechtsstaat bezeichnen. Außerdem drohte Erdogan der EU tatsächlich mit der Aufkündigung des Flüchtlingsabkommens von 2016 und hat die EU und Griechenland mit einer von der Türkei unterstützten Schleuserkriminalität in Richtung Europa „zugunsten“ von 3,6 Millionen Flüchtlingen erheblich unter Druck gesetzt. Anschaulicher kann man sich als politischer Erpresser nicht präsentieren. Und dann hat Erdogan jüngst mit der extrem frauenfeindlichen Aufkündigung der Istanbuler Konvention der westlichen Welt klargemacht, dass er jederzeit auch bereit ist, alle anderen internationalen Verträge und Abkommen in Frage zu stellen, wenn es seinem Macherhalt dient.

Und nun will die EU auf der Grundlage eines Beschlusses der EU-Staats- und Regierungschefs die „Eiszeit“ beenden, die wirtschaftlichen Beziehungen verbessern und ein neues Flüchtlingsabkommen verhandeln. Zu diesem Zweck sind Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel gestern nach Ankara gereist und haben mehr oder weniger unterwürfig Höflichkeiten über eine modernere Zollunion ausgetauscht, um Erdogan dazu zu bringen, sich mindestens weiterhin an das Flüchtlingsabkommen zu halten. Statt sich Erdogan so unwürdig vor die Füße zu werfen, hätte die EU schon längst und dingend gegen die Abschaffung der Demokratie in der Türkei vorgehen und sich für eine unabhängige Justiz, Meinungsfreiheit sowie die Rechte von Frauen, Kindern und Minderheiten einsetzen, nachhaltige Sanktionen verhängen und die Beitrittsgespräche mit der Türkei endgültig beenden müssen.

Der Türkei-Kenner und Grünen-Abgeordnete Özdemir meint treffend, dass sich die EU-Spitzen nun mit Erdogan träfen, „um Geschenke zu machen“, sei „Brüsseler Selbstverzwergung“ und „Hohn für alle Demokrat*innen der Türkei“. Der CSU-Politiker und Europaabgeordnete Manfred Weber betonte, dass eine Ausweitung der Zollunion mit der Türkei derzeit noch nicht geboten und ein EU-Beitritt der Türkei eine Illusion sei. Und auch international wird die EU-Aktion sehr kritisch gesehen und schlimmer noch, 60% der demokratisch gesinnten türkischen Europabefürworter haben den Glauben an die EU verloren. Die EU hat sich als wertevergessen präsentiert – Hilfsorganisationen nennen das „erbärmlich“!

Und dann bestätigen Bilder von dem Kotau-Besuch der EU-Spitzen auch noch die Selbsterniedrigung. Der muslimische Ober-Macho Erdogan erniedrigt von der Leyen, indem er ihr keinen Sessel an seiner Seite anbietet, sondern eine Sitzmöglichkeit auf einem abseitigen Sofa. Von der Leyen lässt sich das unterwürfig bieten. Und auch der Ratspräsident Michel akzeptiert Erdogans frauenfeindliches und erniedrigendes Verhalten, denn er setzt sich billigend neben Erdogan anstatt sich neben von der Leyen auf das Sofa zusetzen oder von der Leyen vorzuschlagen, dem muslimischen Rüpel das Gespräch unter diesen Umständen zu verweigern. Eine „erbärmliche“ „Selbstverzwergung“!

Autokraten wie Erdogan verstehen nur die Sprache der Macht und verachten „Schwächlinge“. Die NATO sollte mit geeigneten Mitteln solidarisches Verhalten der Türkei erzwingen! Die EU sollte die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei endgültig beenden – es darf kein Unterstützungs-Euro mehr in Richtung Türkei fließen. Außerdem muss die EU die schwachen Sanktionen gegen Einzelpersonen ausweiten und scharfe Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei verhängen. Deutschland sollte die Politik der EU unterstützen, zukünftig jegliche Alleingänge unterlassen und in Abstimmung mit der EU eine unbefristete Reisewarnung für die Türkei aussprechen.

(07.04.2021)

 

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