Hans-Heinrich Dieter

Wertevergessenes Europa   (08.11.2016)

 

Der türkische Präsident Erdogan eifert seinem neuen Freund Putin nach, will ein islamistisch geprägtes Präsidialsystem in einem Einparteienstaat einführen, setzt dabei die Rechtsstaatlichkeit außer Kraft und verfolgt alle anders Denkenden als „Terroristen“. Den luxemburgischen Außenminister Asselborn erinnert das an „Methoden, die während der Naziherrschaft benutzt wurden“. Nazi-Vergleiche sind immer fragwürdig, aber da ist schon etwas dran.

Der morgen erwartete EU-Fortschrittsbericht über die Beitrittsverhandlung mit der Türkei wird sehr  negativ ausfallen - ein wahrer „Rückschrittsbericht“. Für EU-Kommissionspräsident Juncker vermittelt die Türkei lediglich den Eindruck, dass sie der Europäischen Union nicht länger beitreten wolle. Und die Außenbeauftragte der Europäischen Union, Mogherini, erklärt, dass die Beitrittsverhandlungen mit Ankara vorerst fortgesetzt werden sollten. Angesichts der alltäglichen Beleidigungen und europafeindlichen Äußerungen Erdogans sowie der Tatsache, dass die europäischen Werte in der Türkei tagtäglich mit Füßen getreten werden, fragt man sich, was sich die Türkei noch alles - außer der Einführung der Todesstrafe - leisten darf, bis man bei der EU zu einer selbstbewussten und werteorientierten Politik zurückfindet und entsprechende Maßnahmen ergreift.

Von der in Sachen Türkei opportunistischen Kanzlerin Merkel hört man - wie immer im Zusammenhang mit Erdogans Politik - nur zaghafteste Anmerkungen. Das deutsche Auswärtige Amt hingegen verweist auf das deutsche Asylrecht. Staatsminister Roth sagt: „Was derzeit in der Türkei geschieht, hat mit unserem Verständnis von europäischen Werten, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Medienfreiheit nichts zu tun. Alle kritischen Geister in der Türkei sollen wissen, dass die Bundesregierung ihnen solidarisch beisteht, sie können in Deutschland Asyl beantragen.“

Die Kritik von Staatsminister Roth ist erfreulich eindeutig. Die Einladung zur Nutzung des deutschen Asylrechtes für türkische Bürger ist aber zumindest widersprüchlich und politisch falsch. Welche Asyl-Gründe kann es für Bürger eines Staates geben, der Mitglied im Europa-Rat ist, mit dem weiterhin EU-Beitrittsverhandlungen geführt werden, das bisher unbeanstandet Mitglied der Wertegemeinschaft NATO ist und in das nicht anerkannte Flüchtlinge aus der EU zurückgeschickt werden? Offensichtlicher können die EU und Deutschland ihre politische Inkonsequenz nicht machen.

Außerdem wird immer damit argumentiert, man dürfe die westlich orientierten Türken nicht allein lassen. Wenn man alle westlich orientierten „kritischen Geister“ auffordert, in Deutschland Asyl zu beantragen, dann beraubt man die Türkei einer parlamentarischen oder auch außerparlamentarischen Opposition und spielt Erdogan so bei seinen Bemühungen um ein Quasi-Einparteiensystem geradezu in die Hände. Die westlich orientierten Türken gibt es dann in der Türkei bald nicht mehr.

Darüber hinaus müssen wir uns fragen, ob wir wirklich noch mehr türkische Bürger in Deutschland aufnehmen wollen. Türkische Migranten sind die am schlechtesten in die deutsche Gesellschaft integrierte Gruppe mit den am stärksten ausgeprägten Parallelgesellschaften. Türkische Migranten stellen prozentual den größten Anteil an Jugendlichen mit ausländischen Wurzeln ohne Schulabschluss und ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Türkische Migranten stellen deswegen auch die größte Gruppe ausländischer Harz-IV-Empfänger. Außerdem sind derzeit etwas mehr als 50% der türkischen Migranten mit Doppelpass oder türkischem Pass AKP-Wähler und Erdoganhörige. Es ist abzusehen, dass es zwischen AKP-Türken und Kurden in Deutschland nicht nur bei friedlichen Auseinandersetzungen bleibt. Mit einer Unzahl von türkischen Asylsuchenden vergrößern wir dieses Problem. Und da das Asylrecht in Deutschland nicht konsequent angewandt wird, werden wir aller Voraussicht nach eine große Zahl von nicht-asylberechtigten türkischen Bürgern auf Dauer beherbergen. Wir sind möglicherweise dabei, einen Teil der gravierenden Fehler vom September 2015 zu wiederholen.

Deswegen wäre es besser, wenn auch Deutschland zumindest für das Aussetzen der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei eintritt und im Hinblick auf die eingeschränkte Rechtsstaatlichkeit und Terrorgefahr in der Türkei eine Reise- Warnung ausspricht.

(08.11.2016)

 

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