Hans-Heinrich Dieter

Quo vadis deutsche Außenpolitik-

Zukunft der NATO

1949 wurde die NATO als militärisches Verteidigungsbündnis und als Wertegemeinschaft westlicher Demokratien zum Schutz vor der Sowjetunion geschaffen. In der Zwischenzeit hat sich durch das Ende des Kalten Krieges die Sicherheitslage der Welt deutlich verändert und mit ihr die NATO von einem rein defensiven Militärbündnis zu einem Instrument auch aktiver Friedensgestaltung. Die NATO stellt sich in einem fortlaufenden Prozess auf die neuen sicherheitspolitischen Anforderungen zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger der Mitgliedstaaten ein. Der Partnerschaft mit Russland kommt inzwischen eine besondere sicherheitspolitische Bedeutung zu. Die USA als Gründungsstaat und Weltmacht haben immer eine entscheidende und bestimmende Rolle gespielt. Eine funktionierende transatlantische Partnerschaft war und ist ausschlaggebend für eine funktionsfähige NATO. Wenn sich das Verhältnis der USA zu Europa verändert, ändert sich auch die NATO. Es gibt derzeit genug Anzeichen für außen- und sicherheitspolitische Korrekturen der USA.

Die USA sind derzeit die einzige Supermacht der Welt - die allerdings Schwächen zeigt. Die Vereinigten Staaten haben lange über ihre Verhältnisse gelebt und nach Jahren negativer Haushalte unermessliche Schulden angehäuft, die derzeit bei über 95% des Bruttoinlandsproduktes liegen. Verursacher dieser Staatsverschuldung waren die Rezessionsowie die Wirtschaftskrise, und die USA haben sich mit dem Irak-Krieg, den Sicherheitsmaßnahmen nach 9/11 und mit dem Afghanistan-Krieg übernommen. Zur Schuldenkrise kommen massive, strukturelle Wirtschaftsprobleme durch den teilweisen Verlust der Wettbewerbsfähigkeit im produzierenden Gewerbe, das Arbeitsplätze schafft und Export ermöglicht. Die angeschlagene und heruntergewirtschaftete Automobilindustrie ist da nur ein Beispiel. Seit 2006 sind die USA im Ranking der Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften auf Platz 5 zurückgefallen. Exportweltmeister ist China und den Herausforderungen der chinesischen Wachstumsgeschwindigkeit stehen die USA augenscheinlich ein wenig ratlos gegenüber. Die Supermacht schwächelt und ist in ihrer politischen Handlungsfähigkeit eingeschränkt. Das macht sich auch im Verteidigungshaushalt bemerkbar, der heute nur noch 5 Prozent vom Bruttosozialprodukt ausmacht. Da sind die vorschnell ausgelöste amerikanische Abzugsdynamik aus Afghanistan und die halbherzige Beteiligung an den NATO-Operationen im libyschen Bürgerkrieg auch Ausdruck der nun eingeschränkten militärischen Möglichkeiten der USA aufgrund der finanziellen Zwänge.

Trotz dieser schwierigen Lage, wäre es zu früh, vom nahenden Ende des Supermachtstatus´ der Vereinigten Staaten von Amerika zu sprechen. Die USA werden aufgrund ihrer politischen Stärke und Innovationskraft auf absehbare Zeit die Weltpolitik, die Weltwirtschaft und die Wissenschaft maßgeblich weiter mit bestimmen. Und obwohl die USA erstmals seit 1998 die Rüstungsausgaben gesenkt haben, stehen sie mit einem Militärbudget von 711 Milliarden Dollar laut SIPRI weiter an der Weltspitze. Sollten die USA aber entscheidend an politischem Terrain und Einfluss verlieren, dann entstünde eine Lücke, die auf absehbare Zeit keine andere Macht ausfüllen könnte. Es muss daher im Interesse der westlichen Welt sein, die USA in Phasen der Schwäche zu stützen und zu entlasten, um die Vereinigten Staaten langfristig in der Verantwortung für die internationale Politik zu halten. Eine neue amerikanische „splendid isolation“ wäre schlecht für die westliche Welt. Eine Problemlösung wird allerdings dadurch erschwert, dass Europa selbst eine massive Krise durchlebt, deren Bewältigung noch nicht absehbar ist.

Die USA haben Küsten am Atlantik und am Pazifik. Jahrelang konnten die Vereinigten Staaten von Amerika ihre Interessen sowohl in den atlantischen als auch in den pazifischen Raum hinein kraftvoll vertreten. Die Staatsverschuldung und die dadurch eingeschränkten sicherheitspolitischen Möglichkeiten zwingen die USA zu einer Entscheidung und Schwerpunktbildung. Präsident Obama hat sich für den Pazifik entschieden, um dem wachsenden Einfluss der Schwellenländer China und Indien im pazifischen Raum ein Gewicht entgegenzusetzen. Vor dem 19. Gipfeltreffen der Südostasiatischen Staatengemeinschaft (ASEAN) 2011 sagte Präsident Obama in Canberra "Ich habe eine strategische Entscheidung getroffen: Als Pazifiknation werden die USA eine größere und langfristigere Rolle in der Gestaltung dieser Region und ihrer Zukunft spielen". Militärisch wie auch wirtschaftlich wollen die USA ihren Einfluss in dieser Wachstums-Region deutlich ausbauen. Mit einer verstärkten militärischen und wirtschaftlichen amerikanischen Präsenz im pazifischen Raum wird Europa als Handelspartner der USA einen nachgeordneten Rang einnehmen. Diese Entscheidung wird sich aber natürlich auch sicherheitspolitisch auf das euroatlantische Verhältnis und auf die NATO auswirken.

Das „alte“ Europa, das auf der Grundlage der transatlantischen Beziehungen die Weltpolitik so lange beeinflussen konnte, ist durch die rasanten Entwicklungen im pazifischen Raum ein wenig an den Rand der Weltgeschichte gedrückt. Die USA sehen die Struktur-, Finanz- und Schuldenkrise der Europäischen Union sehr kritisch. Die Amerikaner sehen sehr wohl das potentielle politische Gewicht und das wirtschaftliche Potential des Euro-Raumes, aber sie erkennen keine gemeinsame und funktionsfähige europäische Außen- und Sicherheitspolitik. GASP ist eher eine Geschichte von Misserfolgen. Die größte Mittelmacht der EU, Deutschland, taugt nicht für ein „partnership in leadership“ und die Vereinigten Staaten sind frustriert, dass die europäischen Verbündeten viel zu wenig in das gemeinsame Verteidigungsbündnis NATO einbringen, um es auf Dauer als voll funktionsfähiges und damit nützliches Instrument transatlantischer Politik zu erhalten. Deswegen ist die NATO derzeit auch nicht in einem zufriedenstellenden Zustand. Das belastet das Verhältnis der USA zu den europäischen Verbündeten. Die Amerikaner sehen außerdem, dass sie die Lasten unserer konfliktreichen Welt in unverhältnismäßig hohem Maß tragen und wissen, dass sie das auf Dauer so nicht schultern können werden. Sie vermissen deswegen ein stärkeres europäisches Engagement in der Sicherheitspolitik, gestützt auf  höhere und an Zukunftstechnologie orientierte Rüstungsanstrengungen. Und da sieht die Lage nicht vertrauenerweckend aus.

Nach SIPRI legte Russlands Militärhaushalt 2011 um 9,3 Prozent auf 71,9 Milliarden Dollar zu und überholte damit Großbritannien und Frankreich. Deutschland fiel auf der Länderliste auf Platz neun, gehörte aber hinter Großbritannien und Frankreich weiter zur Spitze in Westeuropa. Insgesamt sind die Militärausgaben Deutschlands gemäß SIPRI um 3,5 Prozent auf geschätzte 46,7 Milliarden Dollar geschrumpft.Griechenland, Spanien, Italien, und Irland senkten unter der Last ihrer Schulden die Ausgaben für das Militär im vergangenen Jahr deutlich. Dazu kommt eine nicht abgestimmte und an nationalen Interessen orientierte Streitkräfte- und Rüstungsplanung der NATO-Mitgliedstaaten. Und die USA haben tagtäglich in Einsätzen vor Augen, dass die europäischen Partner ohne Unterstützung durch die USA nicht wirklich kriegstüchtig und durchhaltefähig sind. Ohne amerikanische Aufklärungsmittel, Kampfhubschrauber, ja sogar Medevac-Hubschrauber, Luftunterstützung und Kampfdrohnen – alles was gut und teuer ist - läuft im deutschen Verantwortungsbereich Nordafghanistans keine erfolgversprechende Operation. Nach relativ wenigen Einsatztagen ging der NATO im Libyenkonflikt die Präzisionsmunition aus. Diese „Einbahnstraßen“-Beispiele lassen sich leicht und vielfältig erweitern. Insgesamt haben die USA offensichtlich Zweifel an der Verlässlichkeit und der Leistungsfähigkeit der europäischen Bündnispartner hinsichtlich der Wahrnehmung ihrer Bündnisverpflichtungen. Diese Unzufriedenheit der überschuldeten und schwächelnden USA mit den krisengeschüttelten europäischen Partnern ist gut zu verstehen. Und diese Unzufriedenheit sowie das angekratzte Vertrauen übertragen sich auch auf die NATO.

Vertrauen der USA, der europäischen Partner, der Kooperationspartner und nicht zuletzt der 28 Mitgliedstaaten in die NATO ist der Schlüssel zur Zukunft des Verteidigungsbündnisses. Auf der Homepage der NATO heißt es: „Bei ihrem Gipfel in Lissabon am 19./20. November 2010 haben die Staats- und Regierungschefs der NATO ein neues Strategisches Konzept verabschiedet und damit das Bündnis auf die neuen Herausforderungen und Bedrohungen des 21. Jahrhunderts ausgerichtet. Mit der neuen Bündnisstrategie ist es der Allianz gelungen, einen tragfähigen strategischen Konsens zu formulieren und Leitlinien für das Bündnishandeln der Zukunft festzulegen.“ Das neue Strategische Konzept bekräftigt die Beistandsverpflichtung nach Artikel 5 des NATO-Vertrages. Die NATO soll Verteidigungsbündnis bleiben, aber auch Sicherheitsallianz mit den Kernaufgaben Krisenmanagement und kooperativer Sicherheit werden. Die NATO will sich um weltweite Abrüstung und Rüstungskontrolle bemühen aber auch neuen Bedrohungen zum Beispiel durch eine territoriale Raketenabwehr und durch Schutzmaßnahmen gegen Cyber-Angriffe gerecht werden. Das zentrale Gremium für diese Fortentwicklung der Allianz, für die sicherheitspolitische Debatte und für den euroatlantischen Dialog ist der NATO-Rat. Die Vorbereitungen für den kommenden NATO-Gipfel vom 20./21. Mai 2012 in Chicago, wo es um die Lissabon-Beschlüsse zur Raketenabwehr, zur Ãœberprüfung des NATO-Abschreckungs- und Verteidigungsdispositivs, um die Zukunft Afghanistans nach 2014 und um die Partnerschaft der NATO mit dem Mittelmeerraum gehen wird, laufen. Die Papierform scheint zu stimmen, schafft aber noch nicht das erforderliche Vertrauen. Die NATO wird an ihren aktuellen sicherheitspolitischen Leistungen, die sich an NATO-Einsätzen festmachen lassen, und an der zukünftigen militärischen Kapazität gemessen.

Leider sind weder die aktuellen Leistungen noch die Perspektiven vertrauenerweckend. Seit August 2003 wird die International Security Assistance Force, ISAF, in Afghanistan durch die NATO geführt. Die 49 Nationen mit insgesamt ca. 134.000 Soldaten sind unter Führung der NATO nicht erfolgreich und werden bis zum deklarierten Abzugstermin die vage formulierten Ziele nicht erreichen können. Darüber hinaus entscheiden die Nationen relativ souverän, an innenpolitischen Zielen orientiert und ohne Konsultation mit der NATO, über Art und Dauer der Beteiligung ihrer Kontingente an diesem Krieg. Die Kosovo Force, KFOR, ist seit 1999 mit derzeit 32 Nationen und insgesamt ca. 7.000 Soldaten im Einsatz und bringt die Probleme im Amselfeld nicht unter Kontrolle. Das liegt an der – aus Sicht der Serben – einseitigen Parteinahme der NATO für die albanische Bevölkerungsgruppe und an der Vielfalt der Kompetenzen. So schieben sich die UN, die Europäische Union und die NATO die Schuld an den strukturellen Defiziten des Kosovo gegenseitig in die Schuhe. Für die anstehende Wahl in Serbien wird nun sogar die operative Reserve der NATO aktiviert. Die Operation Active Endeavor zur Terrorismusbekämpfung im Mittelmeer läuft seit 2001 mit genauso wenig messbarem  Erfolg wie UNIFIL. Bei der Operation Ocean Shield begleitet die NATO Handelsschiffe und trägt so mit ähnlich mäßigem Erfolg zur Bekämpfung der Piraterie bei wie die EU-Mission Atalanta.

Vom März 2011 an hatte die NATO zunächst im Auftrag der UN die Flugverbotszone über Libyen und ein Waffenembargo zu gewährleisten und sich dann bereit erklärt, von Frankreich/Großbritannien/USA die Verantwortung für die Bekämpfung von Truppen und Einrichtungen Gaddafis zu übernehmen. Während der sechs Monate mit über 20.000 Kampfeinsätzen hat es viel berechtigte Kritik gegeben. Kritisiert wurde, dass die NATO das Waffenembargo nicht durchgesetzt hat. Das hätte nämlich auch bedeutet, das Embargo gegen die Mitglieder Frankreich und Italien wirksam werden zu lassen. Und obwohl die NATO immer behauptet hat, sie sei unparteiisch, war sie über weite Strecken doch Artillerieersatz und Luftwaffe für die Rebellen und damit Kriegspartei in einem Bürgerkrieg. Und nicht nur für Russland gingen die Bombardierungen weit über den von der UN-Resolution erlaubten Schutz der Zivilbevölkerung hinaus. Nach nur elf Wochen Einsatz wurde die Präzisionsmunition der NATO-Verbündeten knapp. Die NATO hat hier zu erkennen gegeben, dass ihre Reichweite für intensive Militäreinsätze nur sehr begrenzt ist. Darüber hinaus nahmen an den Libyen-Kampfeinsätzen nur neun NATO-Mitglieder teil. Und es gab eine Menge internen Streit unter den 28 Staaten um den Militäreinsatz, so dass der ehemalige US-Verteidigungsminister Gates sogar von einer zweigeteilten NATO sprach. Diese Operation war dem Vertrauen in die NATO abträglich.

Die Perspektive und die zukünftige sicherheitspolitische Wirksamkeit der NATO ergeben sich aus den Kooperationsbemühungen und aus gemeinsamen Rüstungsanstrengungen. Die NATO hat aktuell Kooperations- und Partnerschaftsabkommen mit über 40 Staaten und internationalen Organisationen. Schon 2002 hat die NATO mit der Einrichtung des NATO-Russland-Rates die besonders wichtige Partnerschaft mit Russland ins Leben gerufen. Seit 1997 hat die NATO eine Partnerschaft mit der Ukraine und 2008 wurde die NATO-Georgien-Kommission gegründet. Seit 1994 führt die NATO den Mittelmeerdialog und darüber hinaus wurde die Istanbuler Kooperationsinitiative ins Leben gerufen, um im weiteren Mittleren Osten Einfluss nehmen zu können. Die 28 NATO-Mitgliedstaaten wirken außerdem im Euro-Atlantische Partnerschaftsrat (EAPR)mit, um auf die Umbrüche in den mittel-, südost- und osteuropäischen sowie zentralasiatischen Staaten reagieren und gegebenenfalls unterstützen zu können. Die NATO hat sich also im Hinblick auf kooperative Sicherheit intensiv und zukunftsorientiert eingebracht. Es gilt, auf dieser Grundlage den sicherheitspolitischen Dialog nachhaltig zu führen und möglichst konkrete Zusammenarbeit zu vereinbaren, ohne sich zu verzetteln oder zu überlasten, denn die Möglichkeiten gemeinsamer Politik und die gemeinsamen militärischen Kapazitäten sind begrenzt.

Wenn die NATO im Falle Libyen das Bild eines zweigeteilten Bündnisses abgegeben hat, dann erstaunt das nicht. Die NATO ist ein Verteidigungsbündnis von 28 Staaten mit mehr oder weniger ausgeprägten nationalen Interessen und sehr unterschiedlicher militärischer Leistungsfähigkeit. Die NATO folgt keiner gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Deswegen gilt, dass die NATO als sicherheitspolitisches Instrument nur so gut ist wie die Mitgliedstaaten sie sein lassen. Und nationale Egoismen sowie massive jeweilige Wirtschaftsinteressen haben bisher eine Rüstungskooperation wie auch ein task- oder burden-sharing verhindert.

Dabei gibt es in der Geschichte der NATO unzählige Bemühungen um Rüstungskooperation und Standardisierung. Aufgrund der anfänglichen amerikanischen Dominanz in der Technologie und Rüstungsproduktion bedeutete Standardisierung in den Anfängen hauptsächlich den Kauf von amerikanischen Waffen. 1966 wurde neben mehreren bilateralen und multilateralen Gremien und Foren die CNAD (Conference of National Armament Directors) eingerichtet, um dem Wunsch der Westeuropäer nach größerer Eigenständigkeit in der Rüstungskooperation entgegenzukommen. 1999 wurde dann auf dem Washingtoner NATO-Gipfel die Initiative zur Verteidigungsfähigkeit oder DCI (DefenseCapitalities Initiative) gestartet, um den sicherheitspolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht werden zu können. Diese Initiative galt allen Bereichen militärischer Fähigkeiten: Mobilität von Streitkräften, ihre logistische Unterstützung, Führungs- undInformationssysteme sowie Schutz- und Durchhaltefähigkeiten von NATO-Streitkräften. Es gab und gibt also gute Absichten und Ansätze. Im Ergebnis hat sich die Rüstungskooperation von NATO-Mitgliedern aber hauptsächlich bilateral ausgewirkt und die Standardisierung hat nicht verhindert, dass es an die 40 unterschiedliche Einfüllstutzen für Gefechtsfahrzeuge der NATO gibt. 2010 bemühten sich EU-Präsident Barroso und NATO-Generalsekretär Rasmussen um eine Vertiefung der Beziehungen zwischen EU und NATO und sprachen sich für die Verstärkung von Synergien zwischen den Initiativen der beiden Organisationen und für eine Konsolidierung der militärischen Leistungsfähigkeit aus: Die Rede ist nun von „Smart Defence” und „Pooling and Sharing".

Absichten und deren Verkündung führen aber noch nicht zu Erfolgen. Sicher auch deswegen haben Frankreich und Großbritannien 2011 – ohne Beteiligung des aus ihrer Sicht unsicheren Kantonisten Deutschland - eine engere Zusammenarbeit in den Bereichen Rüstung und Nuklearenergie vereinbart. Dabei geht es um den Bau eines unbemannten Jagdbombers bis zum Jahr 2030, um gemeinsame militärische Projekte bei Drohnen, Raketen, militärischer Kommunikation und Satelliten, aber auch um ein Combined Joint Force Headquarters F/UK, das bis 2016 aufgebaut werden soll, um einen multinationalen Kräfte-Aufwuchs für weltweite Missionen zu gewährleisten. Diese Initiative läuft nun offensichtlich einer engeren und vertieften NATO-Kooperation entgegen.

Bei der Betrachtung der Probleme in der Rüstungskooperation wird sehr deutlich, dass die NATO am mangelnden Willen ihrer Mitglieder zur Überwindung nationaler Egoismen und zu zukunftsorientierter Zusammenarbeit sowie an deren fehlender Bereitschaft zu erforderlichen Investitionen in die zukünftige militärische Leistungsfähigkeit des Bündnisses krankt. Was ist also im Hinblick auf die Zukunft der NATO zu tun?

Die Mitgliedstaaten der NATO müssen erkennen, dass die zukünftige Schwerpunktbildung der USA im pazifischen Raum auch im europäischen und NATO-Interesse ist, weil nur so ein sicherheitspolitisches Gleichgewicht in dieser bedeutenden Wachstumszone gehalten werden kann. Gleichzeitig dürfen die europäischen Mitgliedstaaten der NATO in ihrem Bemühen um stabile und gute transatlantische Beziehungen – im Sinne einer funktionierenden Zweibahnstraße - nicht nachlassen, denn nur die garantieren Sicherheit auch für Europa. Europa muss möglichst bald zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik finden und gemeinsam politisches Gewicht im euro-atlantischen Raum entwickeln, die NATO muss dabei ein wichtiger Partner sein. Stabile transatlantische Beziehungen wird es auf Dauer nur geben, wenn alle Partner erkennbar zu ihren Bündnis-Verpflichtungen stehen und in eine leistungsfähige NATO investieren. Die NATO-Partner müssen in der Streitkräfte- und Rüstungsplanung nationale Egoismen überwinden und zu mehr kostensparender Gemeinsamkeit finden. Dazu müssen Projekte wie „Smart Defence” und „Pooling and Sharing" kraftvoll voran und zum Erfolg gebracht werden, denn angesichts der finanziellen Lage werden sich die europäischen Staaten eigenständige militärische Kapazitäten nicht mehr leisten können. Bei den nächsten NATO-Konferenzen muss außerdem auf der Grundlage der Erfahrungen mit dem Libyen-Engagement die Solidarität im Bündnis und der Umgang der Mitglieder mit der NATO intensiv thematisiert werden, wenn die NATO als Bündnis glaubhaft bleiben will.Und Deutschland als wichtiges Mitglied der EU und der NATO darf in Zukunft, über "Scheckbuch-Politik" hinaus, keine Zweifel an seiner Bündnissolidarität aufkommen lassen. Dazu gehört auch, dass man das Parlamentsbeteiligungsgesetz so modifiziert, dass gemeinsame sicherheitspolitische Verpflichtungen auch verlässlich erfüllt werden können. Deutschland darf sich nicht nur als größte Wirtschaftsmacht in Europa verstehen und europäische Politik aus der Perspektive eines gemeinsamen Marktes gestalten. Deutschland sollte in Zukunft als Motor einer vertieften und verstärkten gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik wirken, GASP der EU neu beleben und wirksam werden lassen und alles dafür tun, dass die NATO auch ein funktionierendes sicherheitspolitisches Instrument für neue GASP sein kann und gleichzeitig ein sehr starkes Bindeglied der euro-atlantischen Beziehungen.

Im Zusammenhang des NATO-Treffens der Außen-und Verteidigungsminister erklärte die US-Außenministerin Clinton zur Bewältigung der Syrien-Krise: „Die USA stehen bereit, das zu tun, was die Internationale Gemeinschaft zu Syrien entscheidet.“ Und der US-Generalstabschef Dempsey ergänzte – nach Aufzeigen der Gefahren einer Militärintervention - auf eine Anfrage vor dem Verteidigungsausschuss des US-Kongresses: „Wenn wir darum gebeten werden, dann haben wir die militärische Kapazität.“ Wenn ein kraftvoller Generalsekretär einer vertrauenswürdigen NATO im Namen der Mitglieder später einmal im Hinblick auf die Bewältigung einer ernsthaften Krise sagen könnte: „Die NATO steht gemeinsam bereit das zu tun, was die Vereinten Nationen zur Bewältigung der Krise entscheiden, und wir haben die militärische Kapazität dazu.“, dann hätten die Mitgliedstaaten die Zukunft der NATO erfolgreich gestaltet, die USA für sicherheitspolitische Aufgaben im pazifischen Raum entlastet und das euroatlantische Verhältnis gestärkt.

Solche Visionen klingen angesichts des anti-europäischen Wahlkampfes auch von Präsident Sarkozy geradezu wie Illusionen. Als engagierter europäischer Bürger darf man aber nicht nachlassen, außen- und sicherheitspolitische Forderungen an die Politik zu formulieren, sonst verkommt die Politik in den Mitgliedstaaten der EU und der NATO immer mehr zu populistischer und wahlkampforientierter Innenpolitik.

(Erstveröffentlichung  01.05.2012)

Dieser Artikel wurde unter dem Leitthema “Quo vadis deutsche Außenpolitik?” als ein Beitrag zu den Texten der Deutschen außen- und sicherheitspolitischen Blogger geschrieben.

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