Hans-Heinrich Dieter

 Erpresser Orban (15.12.2023)

 

In der „Zeitenwende“ wird sehr deutlich, dass die Europäische Union nur stark eingeschränkt handlungsfähig ist. Die Ursachen für die eingeschränkte Handlungsfähigkeit und Erpressbarkeit der EU liegen in den strukturellen Problemen der Gemeinschaft – hauptsächlich im Zusammenhang mit dem Veto-Recht einzelner Mitgliedstaaten und dem Einstimmigkeitsprinzip zum Beispiel bei Themen der Außenpolitik.

Die EU braucht daher dringend Reformen und Vertragsänderungen, um außen- und sicherheitspolitisch entscheidungs- und handlungsfähig zu werden. Und ohne solche Reformen sind Erweiterungen durch die Westbalkanstaaten, Georgien, Moldau und später die Ukraine brandgefährlich. Man stelle sich vor, zu den „Erpressern“ Polen und Ungarn kämen dann das putinpudelige Serbien – und später dann möglicherweise noch die EU-untaugliche Türkei – dazu!

Aber von der Leyen hat bisher im Hinblick auf Strukturreformen nur große Worte gefunden – aber real versagt. Und da Selbstkritik nicht ihre Sache ist, fordert sie in einer ihrer vollmundigen Reden: „Wir sollten nicht auf eine Vertragsänderung warten, um die Erweiterung voranzubringen.“ Durch solche Politik schädigt von der Leyen die EU und die vielzitierte Stärkung der europäischen Verteidigungsfähigkeit kann man dann auch vergessen, denn die funktioniert nur mit einer entscheidungs- und handlungsfähigen EU. Ohne Strukturreformen mit stark gestrafften Verfahren und ohne die Festlegung auf Mehrheitsentscheidungen bleibt die EU nur eingeschränkt handlungsfähig sowie desolat. Ohne Reformen würde eine erweiterte Union noch anfälliger für egoistisch-populistische Erpressungen einiger zunehmend autoritärer Mitgliedstaaten, für ausufernden Streit und für mangelhafte Zielerreichung.

Und wie anfällig die EU für egoistisch-populistische Erpressungen ist, macht der erpresserische Polit-Widerling und Putin-Unterstützer Orban beim aktuellen EU-Gipfeltreffen erneut sehr deutlich. Nachdem der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban schon im vergangenen Jahr ein 18-Milliarden-Euro-Hilfspaket für die Ukraine blockiert hat, kündigte er vor dem jüngsten EU-Gipfel an, dass er weder Militärhilfen für die Ukraine noch ein weiteres Sanktionspaket gegen Russland genehmigen und schon gar nicht der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Kiew zustimmen würde. Da hat die Europäische Kommission sich doch tatsächlich erpressen lassen und am vergangenen Mittwoch 10 von 30 Milliarden Euro an eingefrorenen Geldern für Ungarn freigegeben – um sich so die Zustimmung von Orban zu erkaufen. Dadurch beschädigt die EU ihre Glaubwürdigkeit, stärkt Orban im eigenen Land und setzt Anreize für potenzielle Nachahmer.

Und die EU hatte mit diesem Einknicken noch nicht einmal Erfolg. Denn Orban verweigerte während des Gipfels die Zustimmung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine. Dass es trotzdem zu einem „einstimmigen“ Beschluss der übrigen 26 EU-Mitglieder kam, wurde nur durch den Trick erreicht, dass Orban bei der Abstimmung den Saal verlassen hat – das mag „gesichtswahrend“ für Orban sein, es ist aber sehr peinlich für die EU!

Dem anderen Vorhaben der EU, den EU-Haushalt mit insgesamt 50 Milliarden Euro aufzustocken, um die Ukraine vor einem wirtschaftlichen Zusammenbruch zu bewahren, hat Orban die Zustimmung verweigert. Mit dem Geld sollen etwa Renten ausgezahlt, Schulen betrieben und die Beitrittsverhandlungen mit der EU organisiert werden. Darüber muss also erneut in 2024 verhandelt werden.

Das wird nicht einfach werden, denn der Erpresser Orban wird seinen Charakter nicht ändern wollen. In der Nacht nach dem Gipfel schrieb Orban auf X „Veto gegen die zusätzlichen Mittel für die Ukraine“. Und den staatlichen ungarischen Medien versicherte Orban, dass er eine Zustimmung zu weiteren EU-Hilfen für die Ukraine von der Freigabe aller blockierter EU-Mittel für sein Land abhängig macht: Ungarn verlange „nicht die Hälfte, nicht ein Viertel, sondern alles!“ Die EU darf sich von solchen nationalistischen EU-untauglichen Autokraten nicht länger erpressen lassen. Die EU muss Haltung entwickeln und gegen unsolidarische Mitglieder mit konsequenter „Härte“ vorgehen.

Daher muss die EU reformiert und handlungsfähig werden, um außen- und sicherheitspolitisch global wirksam werden zu können. Nur eine handlungsfähige EU wird die Ukraine hinreichend unterstützen – insbesondere in Zeiten wo die USA zu schwächeln beginnen – und sich glaubwürdig in die Bemühungen um eine mögliche Friedensregelung in Nahost einbringen können. Und nur eine handlungsfähige EU kann das Asylrecht den veränderten weltpolitischen Bedingungen anpassen, die EU-Außengrenzen schützen und „Schengen“ aussetzen, um die Migrationsproblematik gemeinsam bewältigen zu können. Denn nur so ist eine ausufernde Migration nach Europa zu verhindern, die uns zerstören könnte.

In Zeiten des Krieges in Europa und in einer Welt, die sich machtpolitisch in verschiedene Blöcke aufspaltet, ist es für die EU entscheidend, ihre Interessen eigenständig definieren und auch in engem Zusammenwirken mit der NATO durchsetzen zu können. Die Europäische Union darf sich nicht in die Rolle eines europäischen Binnenmarktes zurückentwickeln!

(15.12.2023)

 

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