Hans-Heinrich Dieter

Handlungsfähigkeit vor Erweiterung!   (27.10.2023)

 

Im Zusammenhang mit dem derzeitigen Krieg im Nahen Osten wird erneut deutlich, dass die Europäische Union nur stark eingeschränkt handlungsfähig ist. Die Ursachen für die eingeschränkte Handlungsfähigkeit und Erpressbarkeit der EU liegen in den strukturellen Problemen der Gemeinschaft – hauptsächlich im Zusammenhang mit dem Veto-Recht einzelner Mitgliedstaaten und dem Einstimmigkeitsprinzip zum Beispiel bei Themen der Außenpolitik.

Die EU braucht daher dringend Reformen und Vertragsänderungen, um außen- und sicherheitspolitisch entscheidungs- und handlungsfähig zu werden. Und ohne solche Reformen sind Erweiterungen durch die Westbalkanstaaten, Georgien, Moldau und später die Ukraine brandgefährlich. Man stelle sich vor, zu den „Erpressern“ Polen und Ungarn kämen dann das putinpudelige Serbien – und später dann möglicherweise noch die EU-untaugliche Türkei – dazu!

Aber von der Leyen hat bisher im Hinblick auf Strukturreformen nur große Worte gefunden – aber real versagt. Und da Selbstkritik nicht ihre Sache ist, fordert sie in einer ihrer vollmundigen Reden: „Wir sollten nicht auf eine Vertragsänderung warten, um die Erweiterung voranzubringen.“ Durch solche Politik schädigt von der Leyen die EU und die vielzitierte Stärkung der europäischen Verteidigungsfähigkeit kann man dann auch vergessen, denn die funktioniert nur mit einer entscheidungs- und handlungsfähigen EU. Ohne Strukturreformen mit stark gestrafften Verfahren und ohne die Festlegung auf Mehrheitsentscheidungen bleibt die EU nur eingeschränkt handlungsfähig sowie desolat. Ohne Reformen würde eine erweiterte Union noch anfälliger für egoistisch-populistische Erpressungen einiger zunehmend autoritärer Mitgliedstaaten, für ausufernden Streit und für mangelhafte Zielerreichung.

Die Wertegemeinschaft EU hat leider heute schon weniger werte Mitglieder und deswegen begann der gestrige EU-Gipfel in Brüssel zu Nahost-Krieg wie zu erwarten auch mit einer in vielfältige Meinungen und Haltungen zersplitterten EU. Aus Berlin hörte man Mittwoch allerdings, die Bundesregierung nehme „einen Bruch in der EU nicht wahr“ und hoffe, dass die Mitgliedsländer „am Ende zu einer guten, geeinten Position finden“. Wie so oft nimmt die Ampel akute Probleme nicht wahr oder redet sie schön! Denn es gab doch bereits vor dem Gipfel massiven Streit um Formulierungen und Forderungen. Spanien und Irland fordern zum Beispiel einen sofortigen Waffenstillstand, während Länder wie Deutschland und Österreich dagegen sind, dass sich die EU solchen Aufrufen anschließt, denn man will vermeiden, dass der Eindruck entsteht, die EU wolle Israel auffordern, den Kampf gegen die Hamas-Terroristen einzustellen. Die feministische Außenpolitikerin Baerbock fordert „humanitäre Fenster“, macht aber gleichzeitig deutlich, dass die Sicherheit Israels für Deutschland nicht verhandelbar ist. Deutschland bringt sich kakophonisch ein und die EU spricht vor dem Gipfel mit unterschiedlichen Zungen.

Beim gestrigen EU-Gipfel haben sich dann die 27 Staats- und Regierungschefs nach langen Diskussionen auf eine gemeinsame Erklärung geeinigt, in der sie zu humanitären Korridoren und Pausen in Israels Kampf gegen die militant-islamistische Hamas im Gazastreifen aufriefen, auch um die humanitäre Hilfe für die palästinensische Bevölkerung sicherstellen zu können. Außerdem soll in den nächsten sechs Monaten eine internationale Friedenskonferenz mit dem Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung stattfinden.

Die gemeinsame Erklärung ist ein Kompromiss auf sehr kleinem Niveau. Die EU bleibt zerstritten, sie ist weiterhin gespalten und spricht mit vielerlei Stimmen. Die EU hat kein gemeinsames außenpolitisches Konzept und deswegen auch keine gemeinsamen Vorstellungen, was sie langfristig für Israel und den Nahen Osten erreichen will. Dabei möchte die Europäische Union ein international anerkannter und wirksamer Machtfaktor sein, aber bisher fehlt es ihr an „Weltpolitikfähigkeit“, und das in Zeiten, wo die blockierte UNO als weltpolitischer Akteur immer stärker an Gewicht und Einfluss verliert. Und wenn man in Kriegs- und Krisenzeiten Vorschläge machen will, dann muss man als wirkliche Gemeinschaft glaubwürdig sein. Israel wird eher den Vorschlägen der USA folgen und wie bisher die EU nicht sonderlich ernst nehmen!

Die EU muss reformiert und handlungsfähig werden, um außen- und sicherheitspolitisch global wirksam werden zu können. Nur eine handlungsfähige EU wird sich glaubwürdig in die Bemühungen um eine mögliche Friedensregelung in Nahost einbringen können. Und nur eine handlungsfähige EU kann das Asylrecht den veränderten weltpolitischen Bedingungen anpassen, die EU-Außengrenzen schützen und „Schengen“ aussetzen, um die Migrationsproblematik gemeinsam bewältigen zu können. Und eine handlungsfähige EU muss die Ukraine so unterstützen, dass Russland nicht gewinnt, sowie Israel so unterstützen, dass der palästinensische Terror beendet wird. Denn nur so ist eine ausufernde Migration nach Europa zu verhindern, die uns zerstören könnte!

(27.10.2023)

 

Bei Interesse lesen Sie auch:

https://www.hansheinrichdieter.de/html/zusammenarbeitnato-eu.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/desolateeu.html

 

 

nach oben

 

zurück zur Seite Kommentare