Hans-Heinrich Dieter

Macron, die Zweite   (26.04.2024)

 

2017 hat Macron mit seiner Europa-Rede viel Aufsehen erregt. Der damals frisch ins Amt gewählte Präsident hat in der Universität Sorbonne eine ambitionierte Vision für ein souveränes Europa entworfen. Macron hat sich damals insbesondere für eine stärkere Souveränität der EU und eine gemeinsame Verteidigungspolitik ausgesprochen. Bis heute ist aus seiner „ambitionierten Vision“ nahezu nichts realisiert.

Denn für europäische strategische Autonomie braucht es eine handlungsfähige EU mit der Befähigung zur Machtausübung. Die Europäische Union, und damit auch Europa, ist aber in einem bedauernswerten, ja geradezu mitleiderregenden Zustand. Die Staatsverschuldung ist in den meisten Mitgliedstaaten nicht im Griff, die massiven Strukturprobleme der meisten EU-Staaten sind nicht oder nur unzureichend behoben und die Flüchtlingsproblematik spaltet Europa mehrfach und weiterhin nachhaltig.

Und zur europäischen strategischen Autonomie – auch in der Sicherheitspolitik - braucht die EU eine gemeinsame Außenpolitik und Mitgliedstaaten mit einsatzbereiten Streitkräften. Deutschland hat sich als wirtschaftsstärkste Mittelmacht zu einem sicherheitspolitischen Zwerg zurückentwickelt, der seine „Parlamentsarmee“ nach der Wiedervereinigung derart kaputtgespart hat, dass es bei entsprechender mittelfristiger Finanzplanung mindestens bis 2031 dauern wird, bis die Streitkräfte wieder eine Einsatzfähigkeit haben werden, die im Hinblick auf die Bündnisverteidigung wieder dem Artikel 5 des NATO-Vertrages entspricht. Und Frankreich verfügt als einziges EU-Mitglied über vergleichsweise marginale Nuklearfähigkeiten und mit einem Flugzeugträger über stark eingeschränkte Interventionsfähigkeiten. Der Wille der Grande Nation zur Intervention hauptsächlich in den ehemaligen französischen Kolonien ist grundsätzlich vorhanden, die Fähigkeiten der Grande Armée sind aber sehr begrenzt. Die anderen EU-Mitglieder verfügen ebenfalls nur über stark eingeschränkte militärische Fähigkeiten, die eventuelle europäische Interventionsaktivitäten nur sehr unzureichend unterstützen könnten. Macron ist also kein Visionär, sondern eher ein Illusionist!

Bei der zweiten Auflage seiner Sorbonne-Rede trat in dieser Woche ein ziemlich erfolgloser Präsident der Grande Nation auf. Kurz vor den Wahlen zum Europa-Parlament liegt Macrons Lager Meinungsforschern zufolge weit abgeschlagen hinter dem rechtspopulistischen Rassemblement National, der in Umfragen auf etwa 30 Prozent kommt. Macrons Liste kommt hingegen nur auf 16 bis 19 Prozent, Spitzenkandidatin Valerie Hayer ist in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Frankreich bekommt außerdem seine Haushaltsprobleme nicht in den Griff. Das Haushaltsdefizit steigt auf 5,5 Prozent, die Staatsschulden auf rund 111 Prozent. Damit nimmt das Land in der EU einen Spitzenplatz ein. Tatsache ist, dass Frankreich nach Griechenland und Italien das am höchsten verschuldete Land der EU ist. Und Frankreich ist nicht einmal unter den ersten zehn EU-Unterstützern für die Ukraine. Macron und seine Grande Nation haben also keinen Grund, „dicke Backen“ zu machen!

Aber Macron bleibt wie er ist, ein hochstaplerischer Illusionist und ein wenig EU-solidarischer französischer Nationalist, der die Transatlantische Gemeinschaft hintertreibt. Er warnt vor Gefahren für Europa: „Es besteht ein immenses Risiko geschwächt oder gar abgehängt zu werden“ und „Unser Europa heute ist sterblich, es kann sterben, und das hängt allein von unseren Entscheidungen ab.“ Und er stellt fest: Europa stehe an einem Wendepunkt und müsse mehr tun, um mit den schnell aufrüstenden globalen Rivalen konkurrieren zu können. Und Europa müsse sich der Tatsache bewusst werden, dass es angesichts globaler Bedrohungen wie Russlands Krieg in der Ukraine nicht ausreichend bewaffnet sei und dass es seine Verteidigungsstrategie ändern müsse. Er schlug außerdem den Aufbau einer europäischen Militärakademie vor. Auch müsse Europa den Bereich der Cybersicherheit stärken sowie die eigene Rüstungsindustrie fördern. Die nukleare Abschreckung, über die Frankreich verfüge, sei dabei „ein unumgängliches Element der Verteidigung des europäischen Kontinents.“ Und weiter: „Dank dieser glaubwürdigen Verteidigung können wir die Sicherheitsgarantien aufbauen, die unsere Partner in ganz Europa erwarten“. Und dann darf natürlich der Hinweis auf die erforderliche Distanz zu den USA nicht fehlen: Europa müsse in der Lage sein, einen Dialog mit Drittländern aufzunehmen und zu zeigen, dass es kein „Vasall“ der USA sei.

Macron hat nichts Neues glaubhaft vermitteln können. Der angeschlagene Macron ist eine Gefahr für Europa und die NATO. Die strategische Autonomie Europas ist eine Illusion, denn unsere Sicherheit ist nur durch den nuklearen Schutzschirm der USA zu gewährleiten. Frankreich hingegen hat militärisch meistens versagt, in Vietnam, in Afghanistan und in der Sahel-Zone und ist nur eine Minimal-Nuklearmacht, die meilenweit von den Möglichkeiten der USA entfernt ist und daher von Putin auch nicht ernstgenommen würde.

Die NATO hat daher für die Sicherheit Europas weiterhin die größte Bedeutung. Die USA - nach Trump - werden sehr wahrscheinlich Mitglied der NATO bleiben und weiterhin – schon durch die Gegnerschaft zu Russland begründet - ihren nuklearen Schirm über die transatlantische Allianz spannen, aber europäische Interessen dabei möglicherweise nicht mehr so berücksichtigen wie bisher. Deswegen muss die NATO unbedingt als militärisches Bündnis mit einem verstärkten europäischen Einfluss erhalten werden, das gesamtpolitisch agiert und den Dialog sowie die Zusammenarbeit der Demokratien beiderseits des Atlantiks aktiv hält und zur Koordinierung der Politik im Sinne unserer westlichen Wertordnung beiträgt. Die europäischen NATO-Mitgliedstaaten müssen aber für ihre Selbstbehauptung und äußeren Sicherheit deutlich mehr tun, sich so vom militärischen Schutz der Amerikaner unabhängiger machen und sie müssen berechtigte Bedingungen der USA für die weitere Zusammenarbeit in der NATO mittelfristig anerkennen. Eine europäische Interventionsfähigkeit als Grundlage für eine europäische strategische Souveränität wird sich allenfalls nur sehr langfristig entwickeln lassen!

Solange die Grande Nation militärisch so eingeschränkt interventionsfähig ist und im Vergleich zu Russland nur sehr marginale Nuklearfähigkeiten besitzt, sollte Macron sich bei Äußerungen im Zusammenhang mit der NATO und der sicherheitspolitischen Zukunft der EU zurückhalten und sich mit der EU und ihren Mitgliedern besser abstimmen. In der EU gibt es Spalter genug, da muss sich Macron nicht zusätzlich als sicherheitspolitischer Spalter zu profilieren suchen!

(26.04.2024)

 

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